Donnerstag 03 März 2016, 14:16

Rulli, die zukünftige argentinische Nummer eins

"Du warst niemals Torhüter und weißt nichts über diese Position. Du weißt zwar viel über die zehn Feldpositionen, aber nichts über meine. Kümmere dich nur um das, wovon du etwas verstehst!"

Gerónimo Rulli war zehn, vielleicht elf Jahre alt. Der mittlerweile 23-jährige Torhüter von Real Sociedad kann sich nicht mehr an sein genaues Alter erinnern, doch genau das antwortete er auf eine kritische Bemerkung des Trainers in seinem ersten Spiel mit Handschuhen und langen Hosen. Jene, die ihm zuhörten, konnten es nicht glauben. Omar Rulli, sein Vater und Trainer, ebenfalls nicht.

"Aber ich hatte Recht!", bekräftigte der Argentinier im Gespräch mit FIFA.com in jenem ehrlichen Tonfall eines Jugendlichen, den er während des gesamten Interviews an den Tag legte. Wenn die Kritik von seinem Idol, dem paraguayischen Torhüter José Luis Chilavert, oder seinem anderen Vorbild, dem Zeichentrick-Torhüter Genzo Wakabayashi, gekommen wäre, dann wäre es etwas anderes gewesen. Doch sein Vater... sein Vater hatte niemals einen Ball gehalten.

"Seit diesem Moment hat er nichts mehr gesagt", erklärte er stolz und stellte klar, was offensichtlich ist: "Ich hatte bereits damals eine ausgeprägte Persönlichkeit."

Abgesehen von anderen herausragenden Qualitäten war es nicht zuletzt diese Persönlichkeit, die den argentinischen Nationaltrainer Gerardo Marino dazu brachte, seine Meinung über den Jungen aus La Plata zum Ausdruck zu bringen: "Rulli wird in den nächsten zehn Jahren wahrscheinlich der Torhüter der Nationalmannschaft sein. Wenn nichts Außergewöhnliches passiert, wird es genau so kommen." Dies sagte er allerdings kurz nachdem er ihn nicht in den Kader für die Copa América 2015 in Chile berufen hatte. "Die konkurrierenden Torhüter spielen zurzeit auf ähnlichem Niveau, daher stellt sich diese Frage noch nicht", erklärte er damals, um zu betonen, dass seine Entscheidung für die Gegenwart seine Prognose für Rullis Zukunft nicht beeinträchtigt.

Der Nachfolger von Lux und Romero Doch im Jahr 2016 bietet sich eine großartige Gelegenheit, diese Enttäuschung hinter sich zu lassen: das Olympische Fussballturnier 2016 in Rio de Janeiro. In Argentinien herrscht darüber Einigkeit, dass Rulli einer der drei über 23-Jährigen sein wird, die für die Olympischen Spiele nominiert werden dürfen. "Ich liebe den Sport einfach. Bei Olympischen Spielen oder einer Weltmeisterschaft dabei zu sein, ist das Größte, was ein Fussballspieler erleben kann. Es muss unglaublich sein, dieses Ambiente, der Wettkampf mit anderen Sportlern... es wäre ein Traum für mich, daran teilzunehmen und eine Medaille zu holen."

Die Albiceleste war bei den Olympischen Spielen 2012 in London nicht dabei, hatte jedoch 2004 und 2008 die Goldmedaille geholt, wobei die Torhüter maßgeblichen Anteil am Titelgewinn hatten. In Athen musste Germán Lux keinen einzigen Gegentreffer hinnehmen und in Peking legte Sergio Romero den Grundstein für das, was er heute ist: der Torhüter mit den meisten Länderspielen in der Geschichte der argentinischen Nationalmannschaft.

Kann sich Rulli Hoffnungen machen, diesen Erfolg zu wiederholen, obwohl er niemals in einer Junioren-Nationalmannschaft gespielt hat und erst ein Mal in die A-Nationalmannschaft berufen wurde? "Die Nationalmannschaft ist immer ein großer Traum. Dort spielen großartige Spieler, die bereits auf eine beeindruckende Karriere zurückblicken können, obwohl sie unter 23 Jahre alt sind. Argentinien muss bei jedem Turnier, an dem es teilnimmt, zu den Favoriten zählen, und ich habe keine Zweifel, dass es in Rio ebenfalls so sein wird. Doch um berufen zu werden, muss ich im Verein gute Leistungen zeigen. Hoffentlich kann ich die Form der letzten Partien halten und mich damit in die Nationalmannschaft spielen."

Eine lang ersehnte Nominierung Diese Hoffnung ist nicht unbegründet. Er beeindruckte seit seinem Debüt bei Estudiantes im Jahr 2013 mit großartigen Leistungen und sorgt seit der Saison 2014/15 im Tor von Real Sociedad für Furore, doch die aktuelle Saison begann denkbar schlecht – zunächst nur aufgrund eines kleinen Details. Seit seiner Kindheit spielte er immer mit einer schwarzen langen Hose, und zwar "aus Gründen der Bequemlichkeit", doch aufgrund der Trikotfarben seines Vereins muss er in Spanien mit einer kurzen Hose spielen. Das Reglement verbietet es, dass das Trikot eine andere Farbe hat als die Hose.

"Das ist mir schwer gefallen. Ich versuchte, mit langen Stutzen zu spielen, doch das war nicht dasselbe Gefühl. Ich konnte mich erst nach einiger Zeit daran gewöhnen. Ich zog mir die Hose nach oben, dann nach unten..."

Seiner Ansicht nach hatte diese Unbequemlichkeit "nichts damit zu tun", doch sie war wohl ein Grund dafür, dass seine Leistungen erstmals seit seinem Debüt als Profi-Fussballer nachließen. "Ich hatte ein äußerst erfolgreiches Jahr hinter mir, doch in dieser Saison gelang mir nicht mehr so viel. Ich habe stets versucht, bestmöglich zu arbeiten, doch es gab Momente, in denen alles schief ging. Manche Bälle, die ich früher im Schlaf pariert hätte, bereiteten mir nun größere Probleme. Ich musste mich doppelt anstrengen."

Anfang November erfolgte mit der 0:2-Niederlage gegen Las Palmas der Tiefpunkt. "Das war eines meiner schlechtesten Spiele, ich war am Boden zerstört." Nach dem Schlusspfiff auf Gran Canaria rief er seine Familie, seine Freundin und seinen Manager an. "Ich weiß nicht, was gerade passiert. Ich habe keinerlei Selbstvertrauen und brauche euch hier", sagte er zu ihnen. "Zum Glück kamen sie auch, das hat mich wieder motiviert. Seither hat sich das Blatt gewendet."

Seine Leistungen entsprechen nun wieder jenen eines Torhüters, der "stets ruhige Entscheidungen trifft", so wie man ihn kennt.

"Ich habe meine letzten Spiele für Estudiantes analysiert. Heute bin ich ein vollkommen anderer Torhüter. Seitdem ich bei Real Sociedad spiele, bin ich viel sicherer und lasse deutlich weniger Abpraller zu. Man gewöhnt sich an eine andere Spielweise und wenn die Partie angepfiffen wird, merkt man den Unterschied. Das Wichtigste ist, dass ich jetzt in nahezu allen Situationen weiß, was ich zu tun habe. Das war früher nicht immer so. Aber wenn man zwei Jahre lang gegen solche Monster spielt und das Tempo erlebt, mit dem sie spielen, dann wird man zu einem besseren Torhüter."

Aus diesem Grund hofft er auf eine neue Chance, für sein Land spielen zu können: "Wenn sich diese Möglichkeit noch einmal bieten sollte, werde ich sie mir keinesfalls entgehen lassen."

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