Montag 12 September 2016, 09:19

Promes: Zeit für eine neue Generation

"Das waren damals die schlimmsten Tage meiner Karriere. An einem einzigen Tag fiel alles in sich zusammen", erinnert sich Quincy Promes an die schweren Zeiten, die er im Jahr 2008 durchmachte. "Ich war gerade 16 Jahre alt und aus der Jugendakademie von Ajax Amsterdam rausgeworfen worden. Mehrere Tage lang habe ich immer wieder geweint. Ich hatte keine Ahnung, was ich mit mir anfangen sollte."

Acht Jahre später findet sich Promes in einer völlig anderen Situation. Er gehört zu den großen Stars von Spartak Moskau, gilt als einer der besten Spieler in der russischen Liga und spielt in der niederländischen Nationalmannschaft, die derzeit wieder auf dem Weg nach oben scheint. Nach seinem Wechsel zu Spartak Moskau machte der junge Stürmer einen regelrechten Entwicklungsschub und wurde schon bald auch in die niederländische Nationalmannschaft berufen, die allerdings eine schwere Zeit durchmachte.

Denn in diesem Sommer war Oranje erstmals seit 1984 nicht für die UEFA EURO qualifiziert. In der Qualifikation für das Turnier in Frankreich gehörte Promes noch zu den Neulingen im niederländischen Kader und kam nicht häufig zum Einsatz. Doch nun gehört er zu den Schlüsselspielern der jungen Generation, die die Niederlande zur FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Russland 2018™ führen sollen.

"Wir haben ein neues Kapitel aufgeschlagen. Es ist Zeit für eine neue Generation", so der 24-Jährige im Gespräch mit FIFA.com. "Wir haben einen neuen Kader mit sehr viel Talent. Die Stimmung im Team ist toll. Ich empfinde auch so etwas wie Verantwortung: Es ist an der Zeit, dass ich für mein Länd ähnliche Leistungen bringe wie für Spartak. Die Fans erwarten das."

Allerdings wird Promes seine Leistung gegen enorm starke Gegner bringen müssen. Schließlich stehen die Niederländer in der Gruppe A der UEFA-Qualifikation in Konkurrenz zu fussballerischen Schwergewichten wie Frankreich und Schweden, wo die Schützlinge von Danny Blind gerade ein 1:1-Auswärts-Unentschieden holen konnten.

Der Flügelspieler von Spartak Moskau spielt auf Arjen Robbens Position, während der Superstar seine jüngste Verletzung auskuriert. "Robben ist Robben, ihn kann niemand ersetzen", so Promes. "Aber wie ich schon gesagt habe, wir haben durchaus viel Talent im Kader: Da wären beispielsweise Memphis Depay, Luciano Narsingh, Steven Berghuis und ich selbst."

Publikumsliebling bei Spartak In Russland entwickelte sich Promes zu einem Akteur, der im Team der Niederlande für Furore sorgen kann. 2014 verließ er den FC Twente und schloss sich Spartak Moskau an. Hier wurde er schnell zum Publikumsliebling. Die Fans wählten ihn zwei Mal in Folge zu ihrem Spieler des Jahres.

Quincy war mit 13 beziehungsweise sogar 18 Toren in seinen beiden vollständigen Spielzeiten in der russischen Meisterschaft jeweils der zweitbeste Torjäger. Auch in seinem dritten Jahr in Moskau präsentiert er sich weiterhin in Topform. Die Leitung des Klubs bot ihm angesichts seiner konstant starken Leistungen im August einen deutlich verbesserten Fünfjahresvertrag an, um den Star in Moskau zu halten.

Der Niederländer fühlt sich sehr wohl in dem Land, dass 2017 den FIFA Konföderationen-Pokal und 2018 die FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™ ausrichten wird.

"Es gibt unzählige Klischees über Russland", lamentiert er manchmal. "Viele Leute, die noch nie hier waren, stellen immer wieder die gleichen Fragen: 'Ist es kalt? Wie alt sind die Leute? Wie kann man nur Fussball spielen, wenn es so kalt ist?'. Ich versuche gar nicht mehr, sie vom Gegenteil zu überzeugen, das ist sinnlos. Ich könnte stundenlang erzählen, wie schön Moskau ist und dass man ganz einfach im T-Shirt auf die Straße gehen kann – sie würden mir einfach nicht glauben. Bis sie selbst herkommen und es erleben, denken sie, hier würde es jeden Tag schneien. Ich lade die Leute einfach ein, hierher zu kommen. Und alle, die mich hier besucht haben, wollen unbedingt wiederkommen. Das sagt doch wohl alles."

"Tanzfläche oder Fussballplatz" In Moskau findet man, wie in jeder anderen Großstadt, so ziemlich alles, was das Herz begehrt. Es gibt viele, die sich vom Fussball ablenken lassen. Doch Promes konzentriert sich voll auf seine Karriere und seine Motivation.

"Ich war 22, als ich beschloss, hierher zu kommen. Wenn es nicht geklappt hätte, dann hätte ich immer noch genug Zeit gehabt, alles wieder in geordnete Bahnen zu bringen. Aber mir gefällt es, mich selbst herauszufordern und ich weiß genau, wo ich hin will. Man hat die Wahl: In einer so großen Stadt kannst du ein Star auf der Tanzfläche werden und den Mädchen hinterher jagen, oder du versuchst, der beste Spieler auf dem Rasen zu werden.

Ich habe eine wunderschöne Frau und zwei Töchter. Wenn ich jetzt mit solchen Geschichten anfangen würde, dann würde ich nicht nur meinen Traum zerstören, sondern mein ganzes Leben. Das habe ich schon einmal gemacht und musste wieder von vorn anfangen. Ich habe mich wieder nach oben gekämpft, aber ich will auf keinen Fall erneut abstürzen.

Ich erinnere mich noch sehr genau, als die Spartak-Fans fragten: 'Wer ist dieser Typ? Was kann er? Wofür hat der Klub zwölf Millionen Euro bezahlt?'. Jetzt habe ich das Gefühl, sie sind unzufrieden, wenn ich mal in zwei Spielen nicht treffe. Aber das sehe ich als Kompliment. Ich habe die Messlatte sehr hoch gelegt. Das motiviert mich, immer noch besser zu werden."

Es war wohl genau diese Eigenschaft, die dem in Amsterdam geborenen Spieler 2008 half, als der erste Absturz kam.

"Ich war wirklich ein Großmaul und habe immer gesagt, was ich denke - manchmal allerdings nicht unbedingt im richtigen Moment", erzählt er. "Auf dem Platz war ich zu selbstsüchtig und überzeugt davon, dass ich besser wäre, als alle anderen. Schließlich war ich ja in der Akademie von Ajax, wovon jeder Junge in Holland träumt. Mein Verhalten wurde für mein Umfeld einfach unerträglich. Und so haben sie mich dann eines Tages vor die Tür gesetzt.

Da wurde mir klar, dass ich eigentlich noch gar nichts erreicht hatte. Ich wurde nicht mehr mit dem Bus von zu Hause abgeholt sondern musste mit der Bahn fahren. Aber ich hatte kein Geld und auch keinen Platz, wo ich essen konnte. Mehrere Tage lang habe ich immer wieder geweint. Ich habe sogar darüber nachgedacht, alles über den Haufen zu werfen und den Fussball aufzugeben. Das war eine echt schwere Zeit für mich. Es war die wohl gefährlichste Phase in meinem Leben: Wenn du dann einen falschen Schritt machst, landest du auf der Straße. Aber ich habe mich entschieden, für meinen Traum zu kämpfen. Ich wollte unbedingt Fussball spielen."

Mittlerweile ist der Traum wahr geworden, doch Promes wird dafür noch lange nicht nachlassen.

"Ich stehe kurz davor, ein Spitzenspieler zu werden", sagt er. "Und genau das will ich ja auch. Ich habe den Sprung in die Nationalmannschaft geschafft und gehöre zu den Führungsfiguren bei meinem Klub. Ich will mit Spartak Titel gewinnen. Und natürlich wäre es fantastisch, 2018 mit der niederländischen Auswahl zur WM zu kommen – in das Land, in dem ich mich wie zu Hause fühle."