Donnerstag 04 August 2016, 10:45

Middelboe: Freiheitsliebender Olympiapionier

Jedem dänischen Spieler würde es gefallen, eine Zeit lang vom Pioniergeist eines Nils Middelboe beseelt zu sein, und am Donnerstag, wenn die Dänen gegen Irak das Eröffnungsspiel des Olympischen Fussballturniers der Männer bestreiten, wird dieser Wunsch noch einmal doppelt so groß sein. Die Grundlage für den Legendenstatus von Middelboe, einer der großen Fussballikonen der nordischen Länder, wurde nämlich in einem Eröffnungsspiel der Olympischen Spiele gelegt. Allerdings handelte es sich dabei nicht einfach um irgendein Eröffnungsspiel, sondern um eines, das einem ganz kleinen, elitären Kreis vorbehalten war.

Am Nachmittag des 19. Oktober 1908 standen sich zum ersten Mal zwei offizielle Fussball-Nationalmannschaften bei den Olympischen Spielen gegenüber. Dabei handelte es sich um Dänemark und Frankreich B. Im offiziellen Bericht der Olympischen Spiele London 1908 steht zu lesen, dass der Rasen im Zentrum des Stadions rutschig und die Witterungsbedingungen feucht und widrig waren.

Middelboe ließ sich jedoch weder vom rutschigen Geläuf noch von den feuchten und widrigen Witterungsbedingungen beeindrucken. Dies mag damit zusammenhängen, dass sein Bruder Kristian ihm im Mittelfeld zur Seite stand, oder es war einfach der große Tag des selbstbewussten Amateurs. Gerade einmal zwölf Minuten, nachdem der Engländer Thomas Kyle die Partie angepfiffen hatte, erzielte der Däne das 1:0. Es war das allererste Tor eines Olympischen Fussballturniers zwischen Nationalmannschaften und auch das erste Länderspieltor in der Geschichte Dänemarks.

"The Great Dane" (der große Däne), wie er Jahre später vom englischen Publikum genannt wurde, erzielte auch den sechsten Treffer beim 9:0-Sieg seines Teams, den an jenem Tag 2.000 Zuschauer live im Shepherd's Bush Stadium miterlebten. Drei Tage später erzielte er ein weiteres Tor in einem geschichtsträchtigen Spiel: dem 17:1 gegen Frankreich A, bis heute das höchste Ergebnis, das es jemals bei Olympischen Spielen gab.

Dänemark ging nach einer 0:2-Niederlage im Finale gegen Großbritannien am Ende mit der Silbermedaille nach Hause, und die olympische Bewegung zeigte sich beeindruckt von der Spielstärke und den alles überragenden 1,89 m dieses 21-Jährigen, der gebürtig aus Schweden stammte, jedoch in einem gutbürgerlichen Viertel von Kopenhagen aufwuchs. Die gute Kinderstube hielt ihn und seine Brüder Kristian und Einar, ebenfalls Olympionike, jedoch keinesfalls davon ab, ihre Fussballfähigkeiten auf den Straßen der dänischen Hauptstadt auszubauen.

1912 in Stockholm sicherte er sich erneut die Silbermedaille und bot eine Glanzleistung, dieses Mal mit Auftritten im Mittelfeld und in der Abwehr. Er hatte ungemein viele Facetten, und zwar nicht nur auf dem Fussballplatz. Während er aus KB Kopenhagen eine Fussballmacht machte und der dänischen Nationalmannschaft bei europäischen Freundschaftsspielen zu Ansehen verhalf, lieferte er nämlich auch noch in ganz unterschiedlichen Leichtathletikdisziplinen Rekordleistungen ab, und zwar im Dreisprung und über 800 Meter.

Der Amateursport und das Gefühl der FreiheitDoch Middelboe war begeistert vom Fussball. Und von seiner Arbeit bei einer Bank. Und er verteidigte den Amateurgeist auf Biegen und Brechen. Nachdem er KB Kopenhagen in Dänemark zum ersten Titel geführt hatte, warf er all seine Vorlieben in einen Topf und ging nach England: Er wollte an einem Ort Fussball spielen, an dem er gleichzeitig Banker sein konnte. In der Bank wollte er sich seine Brötchen verdienen, nicht mit dem Fussball. Er erhielt ein Angebot von Newcastle United, doch am Ende gewann der FC Chelsea das Armdrücken um seine Dienste und er avancierte zum ersten Ausländer, der bei dem englischen Renommierklub aktiv war.

Middelboe wollte nie auch nur einen Pfenning mit dem Fussballspielen verdienen, auch wenn er sein Einkommen dadurch hätte verdreifachen können. Daher bestritt er von den 46 Partien, die er in fünf Spielzeiten für die Blues auf dem Platz stand, lediglich zwölf außerhalb Londons. Er konnte am Freitagnachmittag nicht mit dem Rest des Teams auf die Reise gehen, da er arbeiten musste und wollte. Seiner Ansicht nach hätte es ihm die Freiheit als Fussballer geraubt, wenn er für das Spielen Geld genommen hätte.

Seine Abschiedsvorstellung in der dänischen Nationalmannschaft gab er, wie könnte es auch anders sein, bei einem Spiel des Olympischen Fussballturniers, nämlich 1920 in Antwerpen. Er bestritt insgesamt gerade einmal 15 Partien, eine äußerst gering erscheinende Anzahl, die sich jedoch mit der vollständigen Spielpause von 1914 bis 1919 erklären lässt, die dem Ersten Weltkrieg geschuldet war.

Da er nach wie vor ausgesprochen fussballbegeistert war, wurde er anschließend Trainer. 1940 gewann er mit KB Kopenhagen den dänischen Meistertitel und von 1942 bis 1964 fungierte er als Verbandstrainer. Middelboe verstarb 1976 im Alter von 88 Jahren. 1970 verfasste er allerdings noch ein kleines Buch, das heute praktisch nirgendwo mehr zu bekommen ist. Thema war der "Gesunde Menschenverstand im Fussball".

Darin kritisiert er zu restriktive Trainer, die die Kreativität einschränkten, insbesondere bei jungen Spielern. "Systematisieren heißt Sterilisieren", schrieb er. Nach wie vor war ihm die Freiheit des Spielers ein großes Anliegen. Die Freiheit, die er für sich selbst mit Zähnen und Klauen verteidigt hatte und die ihn in die Geschichte eingehen ließ.