Dienstag 23 August 2016, 08:41

Lechantre: "Ein guter Start ist entscheidend"

Für Fussballfans, die nicht über tiefgreifende Kenntnisse des afrikanischen Fussballs verfügen, haben die Republik Kongo (Kongo) und die Demokratische Republik Kongo (DR Kongo) möglicherweise Verwechselungspotenzial. Die beiden afrikanischen Länder, die geographisch vom Fluss Kongo getrennt werden, mögen zwar im Hinblick auf Namen, Sprache, Geschichte, Geographie und Traditionen einiges gemein haben, im Fussball trennt sie jedoch seit jeher eine heftige Rivalität, die in den letzten Jahren noch zugenommen hat.

Beide Nationen boten beim CAF Afrikanischen Nationen-Pokal 2015 in Äquatorial-Guinea eine gute Leistung, wobei die DR Kongo sich in einem spannenden Viertelfinale gegen Kongo durchsetzte. Beide Teams gingen erhobenen Hauptes aus dem Turnier hervor, in dem sie Geschichte schrieben.

Doch für Kongo war der beachtliche Einzug ins Viertelfinale des Nationen-Pokals unter dem erfahrenen Trainer Claude Le Roy noch nicht das Ende der Fahnenstange. Die Diables Rouges zogen nämlich auch in die dritte und letzte Runde der Qualifikation für die FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Russland 2018™ ein, nachdem Le Roy sie in der zweiten Runde zu einem Heim- und einem Auswärtssieg gegen Äthiopien geführt hatte. Anschließend räumte der erfahrene Franzose seinen Posten, um das Team Togos zu übernehmen. Kongo setzt nun in dem Bestreben, sich zum ersten Mal überhaupt für eine WM zu qualifizieren, auf seinen Landsmann Pierre Lechantre.

Genau wie allen Teams in der dritten Runde, sind auch Kongo die Hindernisse auf dem Weg zur Weltbühne wohlbekannt. 20 Teams treten in fünf Vierergruppen an, wobei sich nur die Gruppensieger für Russland 2018 qualifizieren. Lechantres Team wurde gemeinsam mit Ghana, Ägypten und Uganda in eine schwierige, aber ausgeglichene Gruppe gelost.

"Da die vier Teams mehr oder weniger auf demselben Niveau sind, kann in unserer Gruppe alles passieren", erklärt er in einem Exklusiv-Interview mit FIFA.com. "Auch wenn es in Bezug auf die Fähigkeiten eine Differenz von 30 bis 60 Prozent gibt, glaube ich, dass die Teams als Ganzes relativ gleichauf liegen und dass wir alle eine Chance haben, uns für Russland 2018 zu qualifizieren."

Wer den afrikanischen Fussball gelegentlich verfolgt, würde vielleicht spontan Ghana und danach Ägypten die größten Chancen auf eine Endrundenteilnahme einräumen. Doch die Fussballgeschichte ist voller Überraschungen, und niemand hat eine Garantie dafür, die Qualifikation zu schaffen, bevor die Spiele nicht ausgetragen wurden – nicht einmal die größten Traditionsmannschaften.

"Es ist ja allgemein bekannt, dass es in Afrika keine 'kleinen' Teams mehr gibt", so Lechantre. "Der afrikanische Fussball hat sich in den letzten Jahren enorm entwickelt. Auf dem Papier mögen Kongo und Uganda vielleicht als die schwächsten Teams erscheinen, doch Ägypten ist nicht mehr so stark wie noch vor einigen Jahren und Ghana befindet sich mitten im Neuaufbau. Daher glaube ich, dass diese Gruppe sehr ausgewogen ist und jede Mannschaft eine Chance auf den Gruppensieg hat."

Ein guter Start ist wichtig Kongo hat das Glück, mit einem Heimspiel in den Wettbewerb zu starten. Im Oktober müssen die Kongolesen in Brazzaville gegen Ägypten antreten, und wenn es dort gelänge, alle drei Punkte mitzunehmen, würde ihnen das sicherlich enormen Auftrieb geben. "Der erste und zweite Spieltag werden für alle Teams entscheidend sein, die sich für Russland qualifizieren wollen", meint Lechantre.

"Wenn wir es schaffen, gegen Ägypten und Uganda vier Punkte zu erringen, dann eröffnen wir uns damit eine einmalige Gelegenheit. Anschließend würden wir versuchen, weiterhin solide Leistungen zu bringen und um den einzigen Startplatz für Russland kämpfen, der in dieser Gruppe zu vergeben ist. In der afrikanischen WM-Qualifikation ist ein guter Start sehr wichtig."

Kongo gehört nicht zu den afrikanischen Teams, die mit großen Namen und Starspielern glänzen. Das Erfolgsgeheimnis der Mannschaft ist ein guter Teamgeist sowie ein überwältigendes Verlangen danach, die eigene Nation in kontinentalen und internationalen Wettbewerben zu vertreten. "Bei den Spielern, die ich nominiere, kommt es mir nicht darauf an, ob sie im In- oder Ausland aktiv sind", so Lechantre bezüglich seiner Auswahlkriterien und der Qualität seines Teams.

"Ich gebe denjenigen eine Chance, die mit der größten Einsatzbereitschaft und Begeisterung spielen und auf dem Platz wirklich alles geben. Wir haben keine großen Stars, wie unsere Rivalen in der Gruppe, aber wir setzen auf unseren Teamgeist und taktische Disziplin. Wenn wir den Fokus auf solche Dinge legen, können wir unsere Ziele erreichen."

Kongo kann sich zwar noch Hoffnungen auf die Qualifikation für die WM in Russland machen, beim nächsten Afrikanischen Nationen-Pokal, der Anfang 2017 in Gabun stattfindet, wird das Team jedoch nicht dabei sein. Diese Chance wurde von Guinea-Bissau zunichte gemacht, das sich völlig überraschend den Gruppensieg in Gruppe E sicherte.

Daher können sich die Kongolesen nun voll und ganz auf die Qualifikation für Russland konzentrieren. "Nachdem wir uns aus der Qualifikation für den Nationen-Pokal verabschieden mussten, können wir nun ohne jeglichen Druck oder Minderwertigkeitskomplex aufspielen und versuchen, mit Blick auf die bevorstehenden Wettbewerbe eine zukunftsträchtige Mannschaft aufzubauen", meint Lechantre. "Jetzt können wir uns ganz auf die Spiele der WM-Qualifikation konzentrieren."

"Das Glück spielt eine große Rolle" Lechantre kennt sich im afrikanischen Fussball bestens aus. Schließlich hat er mit Kamerun bereits den Afrikanischen Nationen-Pokal 2000 gewonnen, und zwar nach einem Finalsieg gegen Mitgastgeber Nigeria im Elfmeterschießen. Außerdem war er bereits für das Nationalteam Malis verantwortlich und hat eine ganze Reihe afrikanischer Spitzenklubs trainiert, beispielsweise MAS Fez (Marokko), Club Africain, CS Sfaxien (beide Tunesien) sowie den libyschen Klub Al-Ittihad, bevor er das Ruder bei Kongo übernahm. "Meine Erfahrungen in Afrika werden Kongo zweifellos zugutekommen", so der Trainer. "Allerdings glaube ich auch, dass der Erfolg eines Trainers zu etwa 30 Prozent von seinem Können und zu 70 Prozent vom Glück abhängt."

Zum Abschluss unseres Interviews erklärt der französische Stratege sich bereit, einen Blick auf die anderen Gruppen der dritten Runde der Afrika-Qualifikation zu werfen und eine Einschätzung abzugeben. Bezüglich der Gruppe, in der Tunesien, Libyen, die DR Kongo und Guinea gegeneinander antreten, sagt Lechantre: "Die Kongolesen werden eine bessere Chance haben, die Endrunde zu erreichen, wenn sie ihre internen Angelegenheiten in Ordnung bringen und die Probleme lösen können, unter denen das Team leidet."

In der Gruppe mit Algerien, Sambia, Kamerun und Nigeria hält er es für möglich, dass Nigeria für eine Überraschung gut ist, während er zu der ausgesprochen kniffligen Gruppe mit der Elfenbeinküste, Marokko, Mali und Gabun Folgendes sagt: "Mali ist stark und wird von Alain Giresse hervorragend betreut." In der letzten Gruppe, in der Senegal, Südafrika, Burkina Faso und Kap Verde vertreten sind, setzt Lechantre auf Senegal: "Sie verfügen wirklich über eine fantastische Spielergeneration: Die Namen sprechen für sich."