Dienstag 01 September 2020, 07:33

Lagerbäck: "Ich hatte noch nie Youngster wie Haaland, Odegaard & Co" 

  • Lars Lagerbäck ist seit 30 Jahren als Trainer im internationalen Fussball aktiv

  • Er führt das junge, talentierte Team Norwegens in die EURO-Playoffs

  • Lagerbäck spricht über die nordische Mentalität, seine besonderen Rohdiamanten und seinen Ruhestand

Jugend und Erfahrung – nach der perfekten Balance dieser Tugenden wird nicht nur im Fussball seit Generationen gesucht.

Norwegen setzt verstärkt auf die Jugend, nachdem das Team in nicht weniger als neun Qualifikationsturnieren in Folge gescheitert war. Mit Erling Haaland (20) und Martin Odegaard (21) stehen zwei absolute Ausnahmefussballer im Kader, verstärkt durch die ebenfalls noch sehr jungen Sander Berge und Kristoffer Ajer (beide 22). Da kann man durchaus schon von einer goldenen Generation sprechen.

Den anderen Teil der Gleichung findet man indes nicht nur auf dem Feld, sondern auch auf der Trainerbank. Denn mit Lars Lagerbäck hat Norwegen den international erfahrensten Trainer Europas an der Seitenlinie.

Vor 30 Jahren übernahm er die U-21-Auswahl Schwedens und seitdem ist er ununterbrochen im internationalen Fussball tätig. Er führte die schwedische A-Nationalmannschaft zu fünf internationalen Endrunden in Folge, stand hinter dem inspirierenden Durchbruch Islands 2016 und war bereits vier Mal bei UEFA EURO-Endrunden vertreten, öfter als jeder andere Trainer.

Die einzige Frage vor seiner Verpflichtung für Norwegen lautete: Würde sich Lagerback zur Übernahme dieses Amtes überreden lassen, nachdem er eigentlich dem Fussball den Rücken kehren und sich um den von seinen Eltern geerbten Forstbetrieb kümmern wollte? Letztlich brauchte es nicht viel Überredungskunst. Schon einmal hatte der mittlerweile 72-jährige Schwede seinem Ruhestand wieder den Rücken gekehrt – und wie er gegenüber FIFA.com bekräftigt, bereut er die Entscheidung nicht im Geringsten, sich lieber um die norwegischen Wunderkinder als um die Bäume im Wald zu kümmern.

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FIFA.com: Lars, wir alle durchleben eine merkwürdige und schwierige Zeit. Wie haben Sie und Ihre Familie die vergangenen Monate überstanden?

Uns allen geht es gut, vielen Dank. Meine Tochter hat sich mit dem Coronavirus infiziert, doch sie hat es gut überstanden. Wir sind alle gesund. Ich bin seit Ende März hier im Wald, wo es wirklich eine Menge zu erledigen gab. Ich war wirklich ziemlich beschäftigt. Ehrlich gesagt war der Sommer für mich wirklich toll, so merkwürdig sich das auch anhört. Ich hatte viel Zeit, um Dinge zu erledigen, für die ich normalerweise keine Zeit finde, wenn ich Spieler in zehn oder mehr Ländern beobachten muss.

Sie hatten zuvor gesagt, dass Sie eigentlich längst im Ruhestand sein wollten. Eigentlich wollten Sie ja schon nach dem Engagement in Nigeria und dann auch nach Island aufhören. Was bewegt Sie, doch immer wieder an die Seitenlinie zurückzukehren?

Es ist einfach ein fantastischer Job, Trainer zu sein. Mir macht es immer noch riesigen Spaß, mit jungen, talentierten Fussballern zu arbeiten. Es stimmt allerdings, dass eine ganze Menge Leute in meinem Umfeld mich für ein bisschen verrückt halten. Doch es gibt nicht sehr viele Jobs, die einem so viel geben wie der Trainerberuf. Und wenn ich mir anschaue, was ich alles verpasst hätte, wenn ich tatsächlich vor Island in den Ruhestand gegangen wäre, dann bin ich ziemlich zufrieden mit meiner Entscheidung. Genau so ist es jetzt auch mit Norwegen. Es ist schon sehr lange her, dass sich das Team für ein großes Turnier qualifizieren konnte. Mich reizt die Herausforderung, das zu ändern. Und wir haben eine ganze Reihe großartiger Youngster im Team. Ich bin ja schon ziemlich lange im Trainergeschäft und ich denke, dass ich noch nie eine vergleichbare Gruppe junger Spieler beisammen hatte.

Ist es eine große Herausforderung, sich festzulegen, wie viele dieser Youngster gleich ins Team integriert werden sollen, und dabei die richtige Balance mit den älteren Akteuren zu finden?

Man muss als Trainer ja ständig abwägen und ausbalancieren. Aber ich habe das große Glück, dass alle meine Spieler, die jungen wie die alten, einen tollen Charakter haben und mit der Nationalmannschaft Fortschritte machen wollen. Alle kommen sehr gut miteinander aus und für alle steht immer das Team an erster Stelle. Ich denke, dass dies ohnehin ein Charakterzug der Menschen in den nordischen Ländern ist und ich schätze mich glücklich, Spieler mit dieser Mentalität zu haben.

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In Schweden haben Sie mit zwei herausragenden Stürmern gearbeitet, die allerdings ganz verschiedene Persönlichkeiten waren, nämlich Zlatan Ibrahimovic und Henrik Larsson. Ähnelt Erling Haaland eher Zlatan oder eher Henrik, was Charakter und Temperament angeht?

Was seine Persönlichkeit angeht, ist er Henrik ähnlicher. Aber als Spieler ist er fast eine Mischung aus beiden. Ich kann auf jeden Fall sagen, dass er sehr bescheiden ist, obwohl für ihn in den vergangenen Jahren alles unglaublich schnell gegangen ist. Er steht mit beiden Füßen fest auf dem Boden. Und weil auch sein Vater Profifussballer war, wuchs er in einer guten Umgebung mit den richtigen Werten auf. Er ist ein sensibler Typ, und er will immer sein Bestes geben. Auf und abseits des Platzes hat er einfach eine gute Persönlichkeit. Er kann ein echter Ausnahmespieler werden, da bin ich sicher. Er ist schon jetzt extrem gut, aber ich denke, dass er in den nächsten Jahren tatsächlich absolutes Weltkasseniveau erreichen kann.

Sie sind auch voll des Lobes über Martin Odegaard und bezeichnen ihn als einen der technisch stärksten Spieler der Welt. Was macht ihn so besonders?

Es ist jedenfalls nicht nur seine Technik allein. Ich meine, mit dem Ball kann er alles machen. Sein Kopfballspiel ist vielleicht das Einzige, woran er noch etwas arbeiten kann! Er hat eine großartige Übersicht und liest das Spiel sehr gut. Er kann kontrollieren, was auf dem Platz passiert. Und er ist nicht nur technisch sehr stark, sondern tut auch enorm viel für die Defensive. Er ist ein echter Allroundspieler. Oft ist es so, dass Spieler mit seinen technischen Fähigkeiten nicht gern mit zurück kommen und sich für das Team aufopfern. Doch er ist ein großartiger Spieler, und clever noch dazu. Er interessiert sich auch für einige andere Dinge als Fussball. Für Norwegen ist er ein überaus wertvoller Akteur geworden.

Sie haben offenbar trotz des Altersunterschiedes ein sehr gutes Verhältnis zu all den jungen Spielern. Josh King nannte Sie mal eine "Vaterfigur, oder eher Großvaterfigur". Allerdings bin ich nicht sicher, ob Sie das wirklich als Kompliment sehen?

Na ja, Großvater hätte er vielleicht nicht unbedingt sagen müssen, um mich an mein Alter zu erinnern! (lacht) Vielleicht sehen die Spieler mich so, mag sein. Doch auf jeden Fall haben wir ein sehr gutes Verhältnis und es macht mir sehr großen Spaß, mit diesen Spielern zu arbeiten. Sie alle wollen sich verbessern. Für einen Trainer bedeutet es immer ein sehr gutes Arbeitsumfeld, wenn man solche Spieler hat. Ich arbeite im Training sehr viel mit Wiederholungen. Ich weiß selbst, dass meine Trainingseinheiten für die Spieler nicht unbedingt immer die interessantesten sind. Aber genau das müssen wir als Außenseiter im internationalen Fussball machen. Und die Jungs stehen mit 100 Prozent Einsatz dahinter. Das sehe ich natürlich sehr gern.

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In den EURO-Playoffs treffen Sie auf Serbien. Deren Trainer Ljubisa Tumbakovic hatte eigentlich gesagt, dass er Ihrem Team am liebsten aus dem Weg gehen würde. Das ist ein großes Kompliment für die Arbeit, die Sie leisten.

Man könnte darüber diskutieren, ob das ein Kompliment ist oder ob er nur dafür sorgen will, dass seine Spieler uns nicht unterschätzen. Serbien hat eine sehr starke Mannschaft und es wird ein sehr enges Spiel, da bin ich sicher.

Sie sind Gastgeber, aber ohne Fans im Stadion ist der Heimvorteil eigentlich nicht vorhanden, oder?

Eigentlich nicht, nein. Natürlich wäre es schöner für uns mit einem vollen Stadion, denn die Spieler lassen sich von den eigenen Fans natürlich immer sehr motivieren. Ich hoffe wirklich, dass wir es schaffen werden. Das war das Ziel, als ich den Job annahm. Es wäre großartig, Norwegen erstmals nach 20 Jahren wieder zu einer Endrunde zu führen.

Sie sind mittlerweile seit drei Jahrzehnten im internationalen Fussball tätig. Gibt es bestimmte Fähigkeiten, die ein Nationaltrainer braucht? Sehen Sie vielleicht herausragende Klubtrainer, die als Nationaltrainer möglicherweise Schwierigkeiten hätten?

Ich denke, die größte Herausforderung, mit der sich jeder Nationaltrainer arrangieren muss, besteht darin, dass man nur sehr wenig Zeit hat, mit den Spielern zu arbeiten, und wie man diese Zeit am besten nutzt. Man muss sehr genaue Vorstellungen habe, wo die Prioritäten liegen. Ich habe schon mehrfach erlebt, dass Trainer, wirklich gute Trainer, in dieser kurzen Zeit zu viel erreichen wollen, insbesondere wenn sie gerade erst von einem Klub kommen und erstmals ein Nationalteam betreuen. Es ist verständlich, doch man lernt schnell, dass es einfach überambitioniert ist. Man muss einfach akzeptieren, dass man nur beschränkt Zeit hat und dass man diese Zeit für die richtigen Dinge nutzen muss, die wirklich wichtigen Dinge. Wenn man auf jeder Position Weltklassespieler hat, dann hat man gute Chancen, erfolgreich zu sein, ganz egal, was man im Training macht. Doch Teams wie Schweden, Island und Norwegen müssen einfach sehr gut organisiert sein, um die ganz Großen besiegen zu können. Daher liegt unsere Priorität auf diesem Aspekt.

Zum Abschluss noch diese Frage: Ist es nach diesem Job an der Zeit für ein Leben auf dem Land? Oder kommt danach vielleicht noch ein weiteres Fussball-Abenteuer?

Nein, ich denke, dann ist es wirklich an der Zeit für ein anderes Leben. Schließlich und endlich muss ich mein Alter akzeptieren und die richtige Entscheidung treffen. Wenn meine Zeit hier endet, bin ich hoffentlich clever genug, um wirklich noch ein paar Jahre im Ruhestand zu genießen. Aber es stimmt schon, das habe ich auch früher schon gesagt! (lacht)

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