Mittwoch 23 September 2020, 13:40

Krebs: "Endlich hatte ich das Gefühl, wirklich dazuzugehören"

  • Heute ist der Welttag der Gebärdensprache

  • Tefy Krebs ist die erste gehörlose Profifussballerin in Brasilien

  • Hier ist die inspirierende Geschichte der jungen Spielerin von Palmeiras

"Du bist taub. Sei endlich realistisch. Wie willst du denn Profifussballerin werden, wenn du nicht einmal hören kannst, wenn eine Mitspielerin den Ball von dir fordert?"

Stefany Krebs hatte solche und ähnliche Kommentare schon häufig gehört, doch dieses Mal schmerzten sie besonders. Die 15-Jährige schlich nach Hause, vergrub sich in ihrem Bett und schluchzte unkontrolliert in die Kissen, während sie widerwillig darüber nachdachte, ob es nicht tatsächlich so war. Nach ein paar Stunden stand sie auf, ging ins Wohnzimmer und teilte ihrer Familie mit, dass sie ihren Traum aufgeben werde.

"Es brach mir das Herz, doch ich hatte mich entschlossen, den Traum vom Fussball aufzugeben", so Tefy gegenüber FIFA.com. "Ich hatte nicht mehr das Gefühl, ich als Gehörlose hätte das Recht, Fussballerin zu werden. Ich hatte allerdings keinerlei Ahnung, was ich stattdessen mit mir anfangen sollte. Aber es war klar, dass es etwas mit Gebärdensprache sein musste. Und ich wusste, dass ich nicht glücklich damit sein würde, weil es nichts mit Fussball zu tun haben würde."

Tag eins ihrer neuen Karriere war im Januar. Wie Tefy vorhergesehen hatte, kommunizierte sie an ihrem ersten Arbeitstag tatsächlich in der Gebärdensprache. Und wie sie es befürchtet hatte, konnte sie dabei die Tränen nicht zurückhalten. Und doch war es "ein Tag, den ich mein ganzes Leben lang nicht vergessen werde", und ein unvergesslicher Sieg der Gehörlosen über Vorurteile.

Am gleichen Tag, an dem Palmeiras den Neuzugang Rosana präsentierte, die früher für Olympique Lyon und North Carolina Courage gespielt hatte, wurde Tefy zu Brasiliens erster gehörloser Profi-Fussballerin. Als ihr Name von der Ansagerin über die Lautsprecher verkündet wurde, gab es einen wirklich rührseligen Moment im Allianz Parque: mehr als 2.000 Fans zeigten für sie gleichzeitig die "Glückwunsch"-Geste in der internationalen Gebärdensprache.

"Ich war von meinen Emotionen absolut überwältigt", erinnert sich Tefy. "Es war so wunderschön. Ich konnte es nicht glauben! Ich kann es immer noch nicht glauben. All die Fans, die gleichzeitig diese Gebärde zeigten - ich finde keine Worte, das zu beschreiben. Endlich hatte ich das Gefühl, wirklich dazuzugehören."

"Und es war noch schöner, weil auch meine Mutter dabei war. Sie hatte eine Busreise von 16 Stunden auf sich genommen, um dabei zu sein, und sie war es, die mir mein Palmeiras-Trikot überreichte. Es war einfach toll."

Tefy fühlt sich ihrer Mutter gegenüber unermesslich dankbar, denn sie war es, die sie als Teenagerin davon abhielt, einen anderen Weg einzuschlagen.

"Ich habe die beste Familie, die man sich nur wünschen kann", so Tefy. "Meine Mutter ließ einfach nicht zu, dass ich den Fussball aufgab. Sie sagte mir, das sei mein Traum und ich müsse ihn weiter verfolgen. Und auch mein Vater, mein Bruder und meine Schwester unterstützten meinen Traum enorm.

"Meine Liebe zum Fussball, beziehungsweise am Anfang zum Futsal, begann, als ich gerade sechs Jahre war. Mein Bruder Jean, der ebenfalls taub ist, brachte mir das Spielen bei und sorgte damit dafür, dass ich mein Lieblingsspielzeug fand; das, was mich am allerglücklichsten macht."

"Auch mein Bruder hatte den Traum, Fussballer zu werden. Er ist überaus talentiert, doch es wurde nichts daraus, weil er taub ist und es bei seinem Klub Probleme mit der Kommunikation gab. Dadurch wollte ich es ebenso für ihn wie für mich selbst schaffen."

"Und so ging ich mit 15 nach Santa Catarina, wo ich allein lebte und in einem Klub der Hörenden spielte. Es gab niemanden, der mit etwas in der Gebärdensprache erklärt hätte. Manchmal blieb ich hungrig und fühlte mich sehr allein. Ich wollte, dass meine Mutter mich nach Hause holte, doch sie bestand weiter darauf, dass ich meinen Traum verfolgen müsse. Das hat mich letztlich nur stärker gemacht."

Und es hat sich bezahlt gemacht. Nachdem Brasilien bei der vorherigen Turnierauflage Letzter geworden war, holte das Team 2015 bei der Frauen-Meisterschaft der Gehörlosen in Thailand die Silbermedaille . Die damals erst 17-jährige Tefy wurde als wertvollste Spielerin des Turniers ausgezeichnet. Und bei der WM im vergangenen Jahr in der Schweiz verhalf Tefy der Seleção gar zum Gewinn der Goldmedaille. Obwohl sie nach einer Knieoperation noch nicht wieder ganz fit war, wurde sie zur besten jungen Spielerin des Turniers gewählt.

"Diese beiden WM-Turniere waren wie ein Traum", sagt sie. "Manchmal kann ich selbst heute kaum glauben, dass es sie wirklich gab. Ich werde immer noch von Emotionen überflutet, wenn ich daran zurückdenke."

Tefys Leistungen in Thailand und in der Schweiz, wo sie noch das "unglaubliche Erlebnis" eines Besuchs im FIFA Welt Fussball Museum genießen konnte, ließen bei jemand anderem einen Traum reifen.

"Der Fitnesstrainer der Gehörlosen-Seleção, Willian Pires Bitencourt, arbeitet daneben auch für Palmeiras. Sein Traum war es, eine gehörlose Spielerin als erste Profi-Fussballerin zu sehen", so Tefy. "Und er hat es möglich gemacht."

"Am Anfang konnte ich es kaum glauben. Ich habe mir schon wieder die Augen aus dem Kopf geheult – die Leute müssen ja denken, dass ich ständig weine!"

Wie gut funktioniert nun die Umstellung von ebenfalls gehörlosen Mitspielerinnen auf Hörende?

"Unsere Sprachen unterscheiden sich, daher war es nicht ganz leicht, insbesondere am Anfang", so Tefy. "Und im Fussball ist es noch etwas schwieriger als im alltäglichen Leben: die Spielerinnen rufen sich ständig Sachen zu, während sich die Gehörlosen größtenteils mit Gesten verständigen. Doch nach und nach gewöhnen wir uns daran.

"Ich bin Palmeiras, dem Trainerstab und den Spielerinnen unglaublich dankbar für alles, was sie für mich getan haben und noch tun.

Ich komme jeden Tag eine halbe Stunde vor den anderen zum Training, um zu erfahren, was wir heute im Training machen und mögliche Probleme anzusprechen. Nur ich selbst und der Trainerstab."

Vor wenigen Wochen feierte Tefy, die davon träumt, in der Seleção der Hörenden und in Europa zu spielen, dann ihr Profidebebüt bei einem 4:1-Sieg gegen Ponte Preta in der brasilianischen Frauen-Meisterschaft. Morgen schreiben die Frauen in den grünen Trikots mit dem ersten Spiel im Allianz Parque Fussballgeschichte. Die aus Erechim stammende Spielerin hat eine Botschaft:

"Ich liebe es, Gehörlose und überhaupt alle Menschen mit Behinderungen zu inspirieren", so Tefy. "Ich will für meine Träume kämpfen, damit sich andere Gehörlose nicht so allen fühlen und ebenfalls den Willen finden, für ihre Träume zu kämpfen. Ich hoffe sehr, den Tag zu erleben, an dem wirkliche Inklusion erreicht ist."

"Wir müssen weiter für unsere Rechte kämpfen und dürfen nicht zulassen, dass uns Vorurteile, Mobbing und Zweifel aufhalten. Wir müssen zeigen, dass wir ganz normale Menschen sind und vieles leisten können, genau wie alle anderen."

"Ich bin sehr stolz darauf, als Gehörlose Teil der internationalen Gemeinschaft der Gehörlosen zu sein. Ich danke Gott für die Gabe unserer fantastischen Gebärdensprache. Wir können nicht mit der Stimme sprechen, doch dafür sind unsere Hände unsere Stimme. Einen schönen Welttag der Gebärdensprache und Glückwünsche an alle."