Samstag 04 Juni 2016, 16:52

Grundlegendes von Marinette Pichon

"Ich glaube, ich weiß gar nicht, welche Auswirkungen ich hatte", sagt Marinette Pichon am Mikrofon von FIFA.com. Sie lächelt. "Ich war immer erstaunt, wenn mich Leute um Fotos gebeten haben, mich auf meine Karriere ansprachen, mir dankten. Mir ist eigentlich gar nicht klar, was ich gemacht haben soll. Ist vielleicht auch ganz gut so", fügt die französische Stürmerlegende hinzu.

Fast zehn Jahre ist es nun her, dass Pichon ihre Fussballschuhe an den Nagel hängte. Sie ging als Rekordtorschützin ihres Landes, mit 81 Toren in 112 Länderspielen. Am ehesten gefährdet werden könnte diese Bestmarke von Marie-Laure Delie, die mit ihren 28 Jahren auf 61 Länderspieltore kommt. Angesprochen auf ihren Rekord lacht Pichon: "Ach, der soll so schnell wie möglich fallen! Das würde nämlich bedeuten, dass mit der französischen Nationalmannschaft alles Im Lot ist. Wenn es nach mir geht, sollen die Mädels weiter munter Tore schießen und zeigen, was sie fussballerisch drauf haben. Rekorde sind dazu da, gebrochen zu werden."

Die 40-Jährige lebt schlicht nicht in der Vergangenheit. Sie ist Geschäftsführerin ihres ehemaligen Klubs FCF Juvisy und Chefmoderatorin des Frauenfussballs im französischen Fernsehen und damit Akteurin und privilegierte Beobachterin einer aufstrebenden Sportart. "Ich profitiere nach wie vor von Frauenfussball", sagt Pichon. "Aber ich habe jetzt mehr Freiheiten und bin nicht mehr so eingeschränkt." Pichon ist in des Wortes doppeltem Sinn prominentester Fan ihrer Bleues und hofft auf einen Triumph im August beim Olympischen Fussballturnier der Frauen in Rio de Janeiro. "Der französischen Nationalmannschaft ist alles zuzutrauen", findet sie. "Fortschritte gemacht hat sie, nun muss sich das auch in Titeln niederschlagen. Die Gruppe bei den Olympischen Spielen ist mit Kolumbien, Neuseeland und den USA recht günstig. Für viele Spielerinnen werden es voraussichtlich die letzten Olympischen Spiele sein, da wäre es schade, wenn sie nichts holen."

Wenn es nach Pichon geht, muss die französische Auswahl dazu vor allem "mehr Tore machen und weniger Chancen auslassen", schließlich sprang 2012 in London aufgrund just dieser Mängel nur der undankbare vierte Platz hinter Kanada heraus und auch die an sich vielversprechenden FIFA Frauen-Weltmeisterschaften 2011 und 2015 endeten früh. "Die Spielerinnen sind mental blockiert", hat Pichon festgestellt. "Sie müssen sich jetzt ganz schnell ihre individuellen Fähigkeiten und mannschaftlichen Stärken bewusst machen, damit sie in Rio Edelmetall gewinnen – egal welches. Ein Platz auf dem Treppchen wäre in jedem Fall ein Erfolg, der neue Horizonte eröffnet."

Auf immer die Erste? Pichons Blick geht dabei schon voraus auf die nächste Weltmeisterschaft 2019 in Frankreich. Zu diesem Turnier hat sie als ehemalige Nationalspielerin nämlich ein ganz besonderes Verhältnis. Sie war bei Frankreichs WM-Debüt 2003 in den USA dabei.

"Für mich sind das Erinnerungen an wunderbare, an geradezu magische Momente", schwärmt Pichon, die bei den Philadelphia Chargers große Erfolge feierte. "Ich habe das erste WM-Tor der französischen Frauen-Nationalmannschaft geschossen. Es war im Spiel gegen Südkorea. Auch gegen Brasilien habe ich getroffen. Die Stadien waren voll, die Organisation perfekt. Mir tut nur leid, dass wir die Gruppenphase nicht überstanden haben, denn eine WM ist einfach fantastisch."

Damals war die französische Auswahl noch nicht, was sie heute ist: eine der besten Mannschaften der Welt und sicherer Anwärter auf die K.o.-Phase, wenn nicht gar Mitfavorit auf den Titel. Wäre Pichon also gern heute noch dabei? Sie verneint entschieden. "Da gibt es nichts zu bereuen. Ich habe ja auch so noch genug Spaß an der heutigen talentierten Generation, bin dem Fussball verbunden und in ständigem Kontakt mit den Spielerinnen, ob nun bei Juvisy oder als Kommentatorin im Fernsehen. Parallel dazu mache ich gerade meinen Hochschulabschluss im Management von Sportvereinen. Ich bin sehr mit der Zukunft des Frauenfussballs befasst."

Trotzdem lässt Pichons Vergangenheit sie nie ganz ruhen. "Hin und wieder sagen mir Spielerinnen, ich sei ihr Vorbild. Erst neulich meinte Laure Boulleau, sie habe als Kind Bilder von mir aufgehängt. Das kam aus tiefstem Herzen und war sehr berührend", gesteht Pichon, die zu ihrer aktiven Zeit nur männliche Fussballer hatte, an denen sie sich orientieren konnte. Und wenn Frankreich in Zukunft internationale Erfolge feiert, kann sie sicher sein, dass sie die Grundlagen dafür gelegt hat.