Dienstag 23 Oktober 2018, 08:08

Eine Fussball-Legende wird 78

Heute vor genau 78 Jahren jauchzte in einem ärmlichen Haus in der ländlichen Kleinstadt Tres Coracoes ein überglücklicher 23-Jähriger vor Freude, denn seine Frau Celeste hatte ihm gerade den Sohn geschenkt, nach dem er sich so sehr gesehnt hatte. Obgleich er selbst als Halbprofi kaum genug zum Leben verdiente, verkündete Dondinho, während Tränen des Stolzes über seine Wangen liefen, voller Überzeugung: "Er wird ein großer Fussballer werden!" Dass Pelé später diese Prophezeiung seines Vaters erfüllen sollte, daran hatten erneut Tränen seines Vaters ihren Anteil.

Alles begann 1950, an einem Tag, der für die Brasilianer den größten fussballerischen Triumph bringen sollte. Ein Punkt gegen Uruguay würde reichen, um den FIFA WM-Pokal im Maracanã-Stadion zu gewinnen. Pelé verließ das Haus der inzwischen nach Bauru gezogenen Familie, als die Seleção mit 1:0 in Führung lag. Sein begeisterter Vater Dondinho hing gemeinsam mit zahlreichen Freunden am Radio und verfolgte gebannt das Spiel. Als der neunjährige Spross nach einem Spielchen auf dem Bolzplatz nach Hause kam, erfuhr er von der Katastrophe, dass Brasilien völlig überraschend die Partie gegen Uruguay verloren hatte.

"Eines Tages werde ich die WM für Dich gewinnen!'" Pelé erinnerte sich später: "Das war das erste Mal, dass ich meinen Vater weinen sah. Ich hatte gelernt, dass erwachsene Männer nicht weinen, aber er war völlig am Boden zerstört. Da habe ich ihm ein Versprechen gegeben: 'Eines Tages werde ich die WM für Dich gewinnen!'"

Pelé, der bisher davon geträumt hatte, Pilot zu werden, war von nun an nicht mehr von dem Plan abzubringen, es als Fussballspieler nach ganz oben zu schaffen. Allerdings war ihm durchaus klar, dass seine unregelmäßigen Bolzereien nicht der richtige Weg waren, um im Fussball Karriere zu machen. Also berief er kurzerhand eine Versammlung ein um mit einigen Freunden eine "richtige" Mannschaft zu gründe

Doch die Jungs aus dem Armenviertel standen vor einem großen Problem: man brauchte zwar nicht unbedingt Fussballschuhe, um gegen andere Mannschaften anzutreten, jedenfalls aber Trikots. Nach einigen von vornherein zum Scheitern verurteilten Versuchen, Geld für Trikots und Shorts aufzutreiben, kam der Vorschlag auf, Erdnüsse von Lieferwagen zu "organisieren" und vor dem Kino und einem Zirkus zu verkaufen. Pelé stimmte eher widerwillig dem Vorschlag zu und wurde aufgrund seines relativ athletischen Körperbaus prompt ausgewählt, den Lieferwagen zu erklettern und die Erdnüsse mitgehen zu lassen.

Debüt im Alter von 15 Alles ging gut. Dank seiner Leistungen für das Team Ameriquinha erhielt Pelé eine Einladung ins Juniorenteam des etablierten Bauru Athletic Club. Um nichts in der Welt hätte sich Pelé diese Chance entgehen lassen, umso weniger als bekannt wurde, dass Waldemar de Brito, der bei der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™ 1934 in Italien für Brasilien gespielt hatte, das Team trainieren würde. Schon bald brachte der ehemalige Nationalstürmer den aufstrebenden Nachwuchsspieler bei Santos unter.

Der Rest der Geschichte ist hinlänglich bekannt. Pelé feierte sein Debüt für den Klub im zarten Alter von 15 Jahren und gewann mit dem Team in den kommenden 18 Jahren nicht weniger als 25 große Titel. Mit der brasilianischen Nationalmannschaft wurde er drei Mal Weltmeister. Und schließlich kehrte er noch einmal aus dem Ruhestand zurück und führte Cosmos New York Cosmos in der U.S.-amerikanischen NASL zu Ruhm und Ehre.

Dabei begeisterte Pelé keineswegs nur die Fans der Teams, für die er spielte. Im Finale der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™ Schweden 1958 beispielsweise wurden die Brasilianer zu Beginn noch von den schwedischen Fans ausgebuht. Doch in der zweiten Halbzeit konnten auch sie sich der Magie des Ballzauberers nicht mehr entziehen und bejubelten jeden gelungenen Spielzug des Gegners. "Es war schlichtweg unmöglich, angesichts dieser Brillanz Pelés nicht zu applaudieren", meinte nach dem Spiel kein Geringerer als der schwedische König Gustaf VI Adolf.

Stehende Ovationen für ein unbeschreibliches Fussballgenie Für Pelé wurde es fast schon eine Normalität, auch auf des Gegners Platz mit stehenden Ovationen geehrt zu werden: So musste ein Spiel gegen Fluminense im Jahr 1961 für mehr als zwei Minuten unterbrochen werden, nachdem Pelé nicht weniger als sechs Gegner ausgespielt und dann eines der insgesamt 1.281 Tore seiner Laufbahn erzielt hatte. Ein Jahr später konnten auch die Fans von Benfica Lissabon nicht anders, als trotz der vernichtenden 2:5-Niederlage im Interkontinental-Pokal Pelé zu applaudieren, nachdem O Rei persönlich einen Hattrick zum Ergebnis beigetragen hatte. Pelé selbst bezeichnete dieses Spiel später als seine "beste Leistung."

Als Pelé 1968 in einem Spiel zwischen Santos und CD Los Millonarios aus Kolumbien des Feldes verwiesen wurde, stürmten die Zuschauer entrüstet den Platz und verlangten, dass er weiterspielen durfte. So kam es dann auch - und stattdessen zeigte man dem Schiedsrichter die Rote Karte! Dabei waren die protestierenden Zuschauer jedoch nicht die Fans von Santos, sondern die Anhänger des kolumbianischen Teams, die so erzürnt waren, weil der Schiedsrichter sie um das Vergnügen gebracht hätte, das unbeschreibliche Fussballgenie aus Brasilien weiter bewundern zu können!

Das war indes nicht die einzige Schlacht, die dank Pelé zumindest zeitweilig unterbrochen wurde. Anfang 1969 wurde im nigerianischen Bürgerkrieg ein 48-stündiger Waffenstillstand verkündet, damit die Kämpfer die Gelegenheit hatten, ihn in einem Freundschaftsspiel in Lagos zu sehen!

Der große Mann des Fussballs wird 78 Dieser große Einfluss war seiner unvergleichlichen Perfektion als Fussballer zu verdanken. Costa Pereira, Benficas Torhüter beim Interkontinental-Pokal 1962, meinte später: "Ich kam an mit der Hoffnung, einen großen Spieler zu stoppen, und ich fuhr ab mit der Gewissheit, von einem Spieler entzaubert worden zu sein, der nicht vom gleichen Planeten stammte wie wir anderen."

Doch Pelés Geburtsort Tres Coracoes liegt durchaus auf dem Planeten Erde und vor genau sieben Jahrzehnten erblickte dort ein Mensch das Licht der Welt, der letztlich viel mehr war, als nur ein überragender Fussballer. Der Träger des FIFA-Verdienstordens überwand Rassenschranken, förderte den Frieden, gründete zahlreiche Wohltätigkeitsorganisationen und ist noch heute als FIFA Fairplay-Botschafter aktiv.