Mittwoch 17 Juni 2020, 07:32

Vor 50 Jahren: Deutschlands Jahrhundertspiel

  • Deutschland unterlag 1970 in einem denkwürdigen WM-Halbfinale mit 3:4 gegen Italien

  • Noch heute spricht man vom Jahrhundertspiel

  • Gianni Rivera avancierte zum Matchwinner

Wer an die FIFA Fussball-Weltmeisterschaft 1970™ und das Aztekenstadion in Mexiko denkt, dem kommt sicher unweigerlich Brasiliens fantastischer Kombinationsfussball beim Endspielsieg gegen Italien in den Sinn.

Tatsächlich findet sich an dem legendären Stadion in der Millionenmetropole eine Plakette, die daran erinnert, dass die Arena einst Austragungsort der Partido del Siglo war. Damit ist aber ein Spiel gemeint, mit dem Pelé, Carlos Alberto und Co. rein gar nichts zu tun hatten. Stattdessen erinnert die Plakette am Aztekenstadion an einen Krimi mit sieben Toren, der bei den Protagonisten aus Italien als Partita del Secolo und bei denen aus Deutschland als Jahrhundertspiel in die Geschichte eingegangen ist.

Nicht jeder erinnert sich indes mit Freude daran. "Niemand hat dieses Spiel je vergessen", sagte etwa Gerd Müller, Doppeltorschütze für Westdeutschland in der Verlängerung. "Ich werde heute noch verrückt, wenn ich nur daran denke. Das werde ich nie verwinden."

Obiges Bild stammt aus jener Verlängerung, in der Müller zwei Tore schoss und Gianni Rivera in der 111. Minute den Siegtreffer erzielte. In der regulären Spielzeit war es dabei eigentlich eine Partie zum Vergessen: Italien verteidigte mit der üblichen stoischen Ruhe die frühe Führung von Roberto Boninsegna aus der achten Minute. Und die Defensivspezialisten hätten sich so wohl bis ins Finale geackert, wenn ihnen nicht eine Minute vor Schluss just ein Spieler des AC Mailand einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte.

Der Name des Torschützen: Karl-Heinz Schnellinger – ein Verteidiger, dem in seinen 222 Begegnungen für die Rossoneri nicht ein einziges Tor gelang und auch in der Nationalmannschaft nur eines ... nämlich dieses. Unvergessen der der deutsche Fernsehkommentators Ernst Huberty, der rief: "Schnellinger! Ausgerechnet Schnellinger!"

qbnm9bh6kciagrevyxje.jpg

Zur Halbzeit blieb Italiens Trainer Ferruccio Valcareggi bei seiner durchaus umstrittenen Rotation. Diese so genannte *Staffetta *sah vor, dass für den fleißigen und laufstarken Sandro Mazzola Schnellingers Mailänder Mannschaftskamerad Rivera eingewechselt würde. Rivera war damals Weltfussballer des Jahres und entsprechend überaus talentiert, aber Valcareggi war der Ansicht, sein Star sei am wirkungsvollsten, wenn die gegnerische Abwehr müde würde – und von Deutschland erwartete er nach einem anstrengenden Viertelfinale gegen England genau das. "Da habe ich mich geirrt", gab der italienische Nationaltrainer später zu. "Über so viel Ausdauer konnte ich nur staunen."

Obwohl sich Kapitän Franz Beckenbauer verletzte und mit dem Arm in einer Schlinge weiterspielen musste, hatte Deutschland Oberwasser, als es in die Verlängerung ging. Prompt folgte die Führung durch den wie immer treffsicheren Müller. Vier Minuten später schlug Italien zurück und glich durch Tarcisio Burgnich aus. Kurz vor Ende der ersten Halbzeit der Verlängerung gelang Luigi Riva dann erneut die Führung zum 3:2. Doch als sei das noch nicht genug, war es wieder Müller, der mit seinem zehnten Turniertor das 3:3 schoss. Dabei übertölpelte er ausgerechnet den überaus unaufmerksamen Rivera am kurzen Pfosten.

Von Torhüter Enrico Albertosi musse sich Italiens "Goldjunge" danach ob seiner schlampigen Abwehrarbeit einige geharnischte Worte anhören. Aber schon 60 Sekunden später avancierte der Sündenbock zum Helden seiner Azzurri. Vom Anstoß an trugen Boninsegna und Giacinto Facchetti den Ball unwiderstehlich nach vorn und Rivera veredelte ihre Vorarbeit mit dem Siegtreffer in einem der dramatischsten Weltmeisterschaftsspiele aller Zeiten.

Hätten Sie's gewusst?

Das WM-Trikot von Italiens Kapitän Giacinto Facchetti, das der Abwehrchef 1970 in Mexiko trug, ist im FIFA Welt Fussball Museum in Zürich ausgestellt.