Donnerstag 26 Mai 2016, 14:54

"Die Chance kommt so schnell nicht wieder"

Wir befinden uns in der Ciudad Deportiva, dem Trainingskomplex von Atlético Madrid. In einem großen Zelt wimmelt es nur so von Journalisten aus der ganzen Welt, die alle wissen möchten, wie der Klub sein zweites Finale der UEFA Champions League innerhalb von nur drei Jahren angeht. Wieder ist der große Hauptstadtrivale Real Madrid der Gegner. Koke beantwortet die Fragen der Pressevertreter ganz ernst, bis jemand ganz hinten das Mikrofon ergreift. "Hier. Antoine Griezmann vom Club Atlético Madrid. Eine Frage…" Da bricht Gelächter aus.

Der Stürmer ist ein glücklicher Mensch, das merkt man sofort. Mit 25 Jahren steht er vor dem Abschluss der besten Saison seiner Karriere. Er hat für Atleti 32 Tore in 50 Spielen erzielt, sieben davon in der Champions League, und der Höhepunkt steht noch bevor. Am 28. Mai bestreitet er sein erstes Kontinentalfinale und wird alles daran setzen, dass sein Klub den Pokal "mit den großen Ohren" zum ersten Mal gewinnt. Anschließend wartet die Europameisterschaft auf ihn, bei der Gastgeber Frankreich favorisiert ist, für den er die wichtigste Option im Sturm ist, nachdem Karim Benzema nicht dabei sein wird.

Und dann ist er auch noch Vater geworden! Wegen seiner Tochter hat er beschlossen, auf die platinblond gefärbte Hahnenkammfrisur zu verzichten, die er immer zur Schau getragen hat. Noch spürt er keine großen Unterschiede. "Es ist mir noch gar nicht so wirklich bewusst. Meine Freundin geht vor den Spielen mit der Kleinen in ein anderes Zimmer, damit ich schlafen kann. Und tagsüber schläft und trinkt sie… damit habe ich nicht viel zu tun", meint er lachend. "Aber ich wechsele die Windeln, ziehe sie an, kümmere mich ums Baden. Ich genieße das sehr."

Als Griezmann pünktlich zum Interviewtermin mit FIFA.com erscheint, fehlt etwas, das er sonst immer mit sich trägt. "Ja, normalerweise habe ich überall meine Thermoskanne dabei", meint er. Doch heute ist nichts von der Thermoskanne und dem Saugröhrchen zu sehen, mit dem er morgens mit seinen Teamkameraden vom Rio de la Plata normalerweise seinen Matetee trinkt. "Mate auf uruguayische Art", betont er. Denn wie sein Teamkamerad Diego Godín immer wieder betont, ist Griezmann trotz seines französischen Passes ein echter Charrúa.

Antoine, wissen Sie noch, wo Sie sich das Finale der Champions League 2014 angesehen haben? Ich habe mich gerade mit der Nationalmannschaft auf die WM in Brasilien vorbereitet und mir die Partie gemeinsam mit den anderen Spielern im Schloss von Clairefontaine angesehen, im Salon. Damals wusste ich noch nicht, dass ich zu Atleti wechseln würde und habe mir die Partie genauso unbefangen angeschaut wie kürzlich die Begegnung zwischen Liverpool und Sevilla . Ich schaue gern Fussball und sehe mir viele Spiele an, mit Popcorn und einer Coca-Cola. Ich mag das Spektakel, sehe mir die Spieler an, die Spielweise der Teams. Ich bin ein fussballverrückter Fussballer.

Sie sind vor zwei Jahren zu einer Mannschaft gestoßen, die in der Liga den Titel geholt hatte, doch die bittere 1:4-Niederlage im Finale von Lissabon war noch ganz frisch. War der erneute Finaleinzug der große Traum des Teams? Klar wollten wir erneut im Finale stehen. Und diejenigen von uns, die damals nicht dabei waren und noch nie in einem solchen Finale gestanden haben, haben sich auch große Hoffnungen gemacht und wollten dieses Ziel unbedingt erreichen. Wir sind zufrieden und müssen jetzt alles geben, denn eine solche Chance bekommen wir so schnell nicht wieder. Daher müssen wir sie nutzen.

Es ist schwer, innerhalb von drei Jahren zwei Mal ins Finale der Champions League einzuziehen, und nun heißt der Gegner ausgerechnet wieder Real Madrid.Es ist eine Chance und wir müssen gewinnen. Es wird schwer werden, aber im Laufe eines Spiels kann viel passieren. Wir müssen von der ersten bis zur 90. Minute auf dem Posten sein, oder vielleicht auch bis zur 120. Wir müssen mental sehr stark sein. Wir müssen weiterhin an uns glauben und auch die Fans sollten an uns glauben. Alles geben für die Mannschaft und für unser Konzept.

Wie in München? Im Halbfinal-Rückspiel musste das Team einen wahren Sturmlauf überstehen. Ja, das war wirklich hart, aber es ist ganz normal. Wir standen einer hervorragenden Mannschaft gegenüber. Einem Klub, der viel Geld für Spielerkäufe hat, und wir haben unsere Sache gut gemacht.

Sie haben gesagt, um das Finale zu gewinnen, müsse man ein "perfektes Spiel" abliefern. Was muss Atlético tun, um das zu erreichen? Von Anfang an bis zum Umfallen kämpfen, viel Engagement zeigen, früh angreifen und Druck machen, gut verteidigen, unsere Chancen nutzen, ein Tor erzielen, versuchen, Gegentore zu vermeiden und schon ist es vollbracht .

Als Sie zu Atlético gewechselt sind, haben Sie erklärt, für Ihre weitere Entwicklung einen Trainer wie Diego Simeone zu brauchen. Inwiefern haben Sie sich verbessert – von der größeren Anzahl der Tore einmal abgesehen? Welchen Beitrag leistet El Cholo für das Team? Ich finde, dass ich mich in diesen zwei Jahren in allem verbessert habe. Ich bin jetzt ein kompletterer Spieler. Ich greife an, schalte mich in die Verteidigung ein und auch im Hinblick auf die Fitness und die Laufleistung auf dem Platz habe ich mich verbessert. Und dann ist da noch der Ehrgeiz, immer besser sein zu wollen als Andere, der unbedingte Siegeswille, sei es nun in einem Spiel oder im Training. Simeone gelingt es perfekt, uns seine Vorstellungen zu vermitteln. Alle kennen sie und setzen sie bis zum Umfallen um. Und wenn er dich aufstellt, vermittelt er dir viel Selbstvertrauen, damit du alles gibst und auf dem Platz frei aufspielst. Das macht sich bemerkbar.

Haben Sie sich im Vorfeld des Finales mit Raphaël Varane oder Karim Benzema unterhalten? Noch haben wir keine Nachrichten ausgetauscht, aber wenn die Partie näher rückt, werden wir das sicherlich noch tun. Sticheln? Ja, das werden wir bestimmt tun, aber wir werden uns auch Glück wünschen. Schließlich sind die beiden meine Freunde, und ich wünsche ihnen nur das Beste... außer am 28. .

Sie sind Franzose. Welche Bedeutung hat Zinedine Zidane, der Trainer von Real Madrid, für Sie? Er ist ein legendärer Spieler in Frankreich. Dort ist er das Sinnbild des Fussballs, und schließlich haben wir mit ihm eine WM und eine Europameisterschaft gewonnen. Ich finde, dass der französische Fussball ihm viel zu verdanken hat.

Ist es ein Kindertraum, in einem Finale wie am Samstag ein Tor zu erzielen? Ja. Jeder möchte in einem Finale ein Tor schießen und seiner Mannschaft zum Sieg verhelfen, aber es ist vollkommen egal, ob Fernando Torres, Saúl oder wer auch immer diesen Treffer erzielt. Es kommt nur darauf an, dass wir gewinnen und den Pokal holen .

Und ein weiterer Traum ist sicherlich der Europameistertitel 2016 mit Frankreich? Ja, auch das ist ein Ziel. Wir freuen uns sehr darauf, vor eigenem Publikum anzutreten. Das wird toll werden, und wir müssen einen guten Eindruck hinterlassen, alles für unser Land geben und versuchen, den Titel zu holen. Die Fans werden uns anfeuern, und wir dürfen uns keinen Druck oder zu viele Gedanken machen. Wir müssen einfach Fussball spielen und versuchen, auf dem Platz Spaß zu haben. Dann wird es schon klappen. Wir müssen es genießen.

Nach vielen Jahren ohne beeindruckende Auftritte ist Frankreich bei der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™ in Brasilien ins Viertelfinale eingezogen und gilt jetzt bei der EURO als Favorit.Nur wenige haben erwartet, dass wir bei der WM so weit kommen würden, und wir haben auf einem guten Niveau gespielt. Gegen Deutschland war das Glück nicht auf unserer Seite . Ich habe mir die Partie später noch einmal angesehen, und wir hatten sehr gute Chancen, doch Neuer war der Torhüter der Stunde und hat sie alle zunichte gemacht. Wir haben daraus gelernt, und vielleicht gelingt es uns ja, Europameister zu werden.