Donnerstag 18 Februar 2016, 12:58

Cavenaghi: "Das könnte sich der beste Schriftsteller nicht ausdenken"

"Ob ich risikofreudig und unbedacht bin?" Fernando Cavenaghi bricht in lautes Lachen aus, als FIFA.com ihm am Telefon diese Frage stellt. "Beides vielleicht ein bisschen", meint er dann, und seine Stimmlage deutet darauf hin, dass er dabei immer noch lächelt. "Ich bin impulsiv und lasse mich bei Entscheidungen von meinen Gefühlen leiten."

Das schlägt sich auch in seine Karriere nieder: Im Alter von 20 Jahren machte der Argentinier als Torjäger von CA River Plate auf sich aufmerksam. Zu dieser Zeit wollte Juventus Turin ihn verpflichten, und einige Klubs der besten Ligen Europas hatten bereits ein Auge auf ihn geworfen. Er entschied sich jedoch für einen Wechsel zu Spartak Moskau, obwohl damals gerade einmal einige wenige Brasilianer in der russischen Liga aktiv waren. Später avancierte er dann bei Girondins Bordeaux zum Idol, wurde mit dem Klub Meister und holte vier weitere Titel, nur um zu einem mittelmäßigen spanischen Verein zu wechseln. Dann war in Argentinien die Aufregung angesichts des Abstiegs von River groß, und der Klub war ein heißes Eisen. Der einzige Spieler, der aus der Nachwuchsabteilung des Klubs hervorgegangen war und in dieser Situation zurückkehren wollte, um zu helfen, war Cavenaghi, genannt El Cavegol.

Beim anschließenden Aufstieg war er bester Torschütze des Teams, wurde verkauft und kehrte anderthalb Jahre später zurück. Dieses Mal gelang ihm mit dem Klub der große Coup. Nach dem Sieg in der Copa Libertadores sonnte er sich im Erfolg, doch anstatt sein Glück bei der FIFA Klub-Weltmeisterschaft gegen den FC Barcelona zu versuchen, verließ er den Klub. In Richtung Zypern. Mit 31 Jahren. Und auch dort bringt er die Torhüter zur Verzweiflung.

"Jeder hadert ab und an mit Entscheidungen. Ich hatte Höhen und Tiefen, wie jeder Spieler, aber ich habe über 230 Tore erzielt, hatte Gelegenheit, 15 Titel zu gewinnen, darunter die Copa Libertadores mit dem Klub, dessen Fan ich bin. Trotz der verschlungenen Wege, die ich gegangen bin, hätte ich mir für meine Karriere kaum mehr erhoffen können."

Lebensqualität und ein Fehler Bei APOEL Nicosia hat der risikofreudige, unbedachte und impulsive Argentinier mittlerweile 23 Tore in 26 Spielen erzielt. "Ich habe mehr Tore erzielt als erwartet", räumt er ein. Nicht überrascht zeigte er sich vom veränderten Lebensstil, denn den hatte er angestrebt. "Ich habe viel Lebensqualität dazugewonnen. Ich kann das Familienleben jetzt viel mehr genießen, was in Argentinien schwieriger ist, weil man weniger Zeit zu Hause verbringen kann. Mir persönlich hat dieser Wechsel sehr gut getan, und ich habe das Gefühl bekommen, dass alles machbar ist. Das hat mir für die letzten Jahre meiner Karriere noch einmal ordentlich Schub gegeben."

Einmal war seine Impulsivität kein guter Ratgeber, als er nämlich Mitte 2010 aus Frankreich nach Mallorca wechselte, das zuvor eine hervorragende Saison hingelegt hatte, aber wenig Chancen hatte, noch höher hinauszukommen. "Ich habe es bereut. Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, in Spanien zu spielen, aber ich weiß nicht, ob das die beste Wahl war." Auf der Insel hatte er Probleme mit seinem Stellungsspiel und der Abgebrühtheit vor dem Tor, zwei wichtigen Eigenschaften eines Mittelstürmers. "Für einen Stürmer ist es viel einfacher, in einer großen Mannschaft zu spielen als in einer kleinen. Meine Zahlen sind ein Beleg dafür."

Sein Wechsel nach Russland im Jahr 2004 war vielleicht die einzige pragmatische Entscheidung seiner Karriere, wenn er damit auch riskierte, sich aus dem Radar der argentinischen Nationalmannschaft zu entfernen, für die er letztendlich nur vier Freundschaftsspiele bestritt.

"Niemand kann sagen, was passiert wäre. In meinen besten Jahren bei River war ich Torschützenkönig des Turniers, war 18 oder 19 Jahre alt und wurde trotzdem nicht in die Nationalmannschaft berufen. Der wirtschaftliche Sprung war einfach enorm. Die Entscheidung ist mir schwergefallen, weil es nicht gerade das Ziel meiner Träume war, aber ich habe eher an die Zukunft gedacht. Ich habe dort auf Kunstrasen gespielt, was mir in vieler Hinsicht zugutekam. Und das Leben in Moskau hat mir sehr gefallen. Die WM wird für viele Leute eine sehr schöne Erfahrung werden. Das Kennenlernen der russischen Kultur kann ein großer Anreiz sein."

Größter Traum und schlimmster Alptraum Nach der nüchternen Entscheidung, seine finanzielle Zukunft zu sichern, folgte Cavenaghi dem Ruf seines Herzens, als er in der schwersten Stunde Rivers zu seinem Lieblingsklub zurückkehrte: "Es war fantastisch, dem Klub etwas von dem zurückgeben zu können, was er mir gegeben hatte. Ich bin River sehr dankbar. Ich konnte dort nicht nur Fussballer werden, sondern unter anderem auch die Schule des Klubs besuchen. So konnte ich dem Verein praktisch etwas zurückzahlen."

Die Saison 2011/12 wird ihm für immer in Erinnerung bleiben. "Was ich in diesem Jahr erlebt habe, ist mit nichts anderem vergleichbar. Es hat mich als Persönlichkeit sehr wachsen lassen. Ich bin an einen grenzwertigen Punkt gelangt und musste die Hilfe eines Psychologen in Anspruch nehmen, um wieder etwas zur Ruhe zu kommen, denn am Ende war es ungeheuer stressig. Glücklicherweise ist alles gut ausgegangen."

In Cavenaghis Leben gibt es noch ein weiteres ausgleichendes Element, nämlich die Kunst. Er malt, schreibt und spielt Gitarre. "Ich bin nicht gut, aber es macht mir Spaß", meint er. "Für mich ist das auch so etwas wie eine Therapie. In schwierigen Situationen konnte ich damit immer gut abschalten." Er hat sogar ein Buch über seine Erfahrungen bei River geschrieben: "All die Ereignisse im Zusammenhang mit dem Abstieg in die Nacional B waren schwer zu verkraften und ich habe Dinge erlebt, von denen ich nie dachte, dass ich sie einmal erleben würde. Da habe ich mir gesagt, dass es gut wäre, diese Dinge aufzuschreiben, weil ich sie sonst vielleicht vergessen würde."

Diese Erinnerungen umfassen natürlich auch den Gewinn der Copa Libertadores im Jahr 2015: "Das war immer mein Traum gewesen und ich wusste, dass dies meine letzte Chance war, das Turnier zu gewinnen. Es stand schon fest, dass ich den Klub verlassen würde. Was ich erlebt habe, könnte sich auch der beste Schriftsteller nicht ausdenken. In drei Spielzeiten bei River habe ich von der allerschlimmsten Situation bis zum größten Triumph alles erlebt und mich am Ende mit der Copa Libertadores verabschiedet. Einen schöneren Traum kann es nicht geben."