Freitag 24 Juni 2016, 12:50

Batista und die schnellste Rote Karte

José Charly Batista ist heute 54 Jahre alt. An seiner robusten und gedrungenen Statur ist eindeutig zu erkennen, dass ein ehemaliger Außenverteidiger vor einem steht. Durch und durch ein Uruguayer, aber mit brasilianischer Spielweise. Vielleicht nicht übermäßig trickreich, aber extrem offensiv ausgerichtet, mit rasanten Flügelläufen und einer gewaltigen Schusskraft aus der Distanz. Batista erzielte in seiner 24-jährigen Karriere über 60 Tore. Er war aber kein sehr harter Verteidiger, so dass ihn ein Trainer in Argentinien einmal fragte, ob er denn der einzige Uruguayer sei, der keine Tritte austeilt? Dennoch blieb er ironischerweise wegen eines Fouls in Erinnerung: Es führte zum schnellsten Platzverweis in der Geschichte der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™.

"Ich arbeite in einer kleinen Fussballschule und leite ein Amateurteam, also höre ich ständig: 'Wisst ihr, wer das ist? Der mit dem Platzverweis.' Und dann greife ich zum Telefon und zeige die Aktion", sagt Batista im Gespräch mit FIFA.com in einer Bar in Buenos Aires. Besagte Aktion ereignete sich am 13. Juni 1986 in der Partie gegen Schottland im Estadio Neza von Mexiko. Es war der letzte Spieltag in Gruppe E, und für beide Teams ging es um die Qualifikation für das Achtelfinale. Der Franzose Joël Quiniou pfiff die Partie an, in der es nach wenigen Sekunden einen Einwurf für die Schotten gab. Arthur Albiston versuchte, in die Gasse zwischen zwei Gegnern einzuwerfen, in die ein Mitspieler schnitt, und dann geschah es:

"Der Ball geriet etwas zu lang, und ich als Linksverteidiger starte schneller als er, um ihn abzufangen. Ich weiß nicht mehr, wie der Schotte heißt..." - "Gordon Strachan." - "Genau. Strachan erreicht ihn nicht, ich bin zuerst am Ball. Er streckt noch seinen Fuß hin, aber ich bringe ihn mit dem linken Bein und der Hüfte zu Fall. Ich befürchtete, dass er mich treffen könnte, und ging energisch in den Zweikampf. Es war aber nicht so, dass ich ihn umgrätschte! Ich ging auf den Ball und wir stießen zusammen!"

Es waren gerade einmal 38 Sekunden vergangen, und der heutige schottische Nationaltrainer blieb auf dem Rasen liegen. "Ich achtete darauf, dass mein Fuß nicht ganz auf dem Boden auflag, als ich den Schlag erhielt, deshalb war es nicht so schlimm wie es hätte sein können", erklärte Strachan gegenüber The Telegraph. "Als Batista auf mich zukam, dachte ich 'Oh nein, schon geht es los'. Aber ich hätte nicht gedacht, dass es so früh anfängt."

Ansage von ganz oben Quiniou eilte hin, um nach dem rothaarigen Spieler zu sehen. In diesen Augenblicken ging ihm alles durch den Kopf, was er im Vorfeld seines WM-Debüts als Schiedsrichter gesehen und gehört hatte. "Es waren schon viele Partien gespielt worden, weshalb ich die Zeit gehabt hatte, die vorherigen Spiele zu analysieren und die Ratschläge und Beobachtungen der Schiedsrichterkommission zu studieren", erklärt der Franzose gegenüber FIFA.com. "Die Kommission war zu der Ansicht gekommen, dass die Schiedsrichter bei Fouls, die die körperliche Gesundheit des Gegners gefährden, zu nachlässig gewesen und diese nicht hart genug sanktioniert worden seien. Ich hörte, was sie sagten, und bereitete mich auf dieses für mich so besondere Ereignis vor - es war ein Traum, der Wirklichkeit wurde."

Ohne zu zögern drehte sich Quiniou zu Batista, der noch auf dem Boden saß, und zückte die Rote Karte. "Es lag in meiner Verantwortung und ich konnte diese Aktion nicht ungestraft lassen." Es waren knapp 52 Sekunden der Partie verstrichen. "Ich wollte sterben", sagt Batista. "Es war gewiss nicht meine Absicht, ins Guinness-Buch zu kommen", rechtfertigt sich der Schiedsrichter. "Aber du kannst nicht einen Strafstoß oder eine Rote Karte, wenn sie berechtigt ist, nicht geben, nur weil es die Anfangsphase des Spiels ist. Und ich sah ein Foul, bei dem Batista nicht kontrolliert genug handelte." Der Platzverweis kam so schnell, dass Strachan später scherzte: "Ich weiß bis heute nicht, wie dieser Kerl eigentlich aussah. Ich habe nicht einmal sein Gesicht gesehen."

Der uruguayische Zeugwart hingegen wusste sehr genau, wie Batista aussah, und konnte es kaum glauben, als dieser in die Kabine kam.

"Was machst du hier?" "Ich wurde vom Platz gestellt." "Wie können sie dich vom Platz schicken, wenn noch die Hymne läuft?"

"Er musste kurz zur Bank und aufs Feld schauen, um mir zu glauben", schildert Batista die Anekdote. Er selbst war in diesem Moment untröstlich. "Und mein Gesichtsausdruck - ich war völlig aufgelöst", sagt er. "Ich war es nicht gewöhnt, vom Platz gestellt zu werden, und es ging mir sehr schlecht. Ich war ein Vertreter Uruguays, dem so etwas passiert. Da bekommst du es mit der Angst zu tun."

Schmerzvolle Jahre der Schmach Aber in der Halbzeitpause fing er sich wieder. "Die Jungs kamen und sagten: 'Komm schon, Charly, wir kriegen das schon hin, nichts passiert.' Ich spürte eine enorme Energie in mir und den anderen, in den verbleibenden 45 Minuten die Qualifikation zu schaffen." Das 0:0-Endergebnis tat sein Übriges. "Wir waren eine Runde weiter und ich beruhigte mich wieder ganz."

Zumindest für den Moment, denn die Aktion verfolgte ihn noch viele Jahre. "Anfangs störte es mich, weil mir einfach die Erfahrung fehlte. Wenn meine Gegner hier in Argentinien bei Deportivo Español das erwähnten, weißt du, dass sie dich nur irritieren wollen. Du schenkst dem keine Beachtung. Aber als ich noch in Uruguay war, schmerzte es mich. Du bist in einer Bar oder gehst zu einer Preisverleihung und merkst, wie gemurmelt wird: 'Das ist der, der bei der WM 86 nach einer Minute vom Platz flog.' Und du denkst dir: 'Zieht dieses Messer aus meinem Rücken, denn ihr bringt mich um!' Ich blickte sie an, als wollte ich sagen: 'Es reicht'. Ich habe überall Tore erzielt und mit Uruguay die Südamerikameisterschaft und die Panamerikanischen Spiele gewonnen. In der Qualifikation für '86 habe ich ein Traumtor geschossen. Aber gut, mit der Zeit kommst du darüber hinweg und heute stört es mich nicht mehr."

Gleichwohl bleibt ein bitterer Beigeschmack, denn letztlich empfindet Batista die Begebenheit als eine "Ungerechtigkeit" in seiner Karriere. "Ich habe mit 16 angefangen und mit 40 aufgehört. Ich saß nur zwei Mal auf der Bank und habe immer gespielt. Ich habe vielleicht drei oder vier Platzverweise in meiner gesamten Karriere."

Deshalb kann er auch nicht akzeptieren, was Albiston, der damals den Einwurf zu Strachan spielte, über die Partie sagte: "Sie traten uns, wenn wir den Ball hatten, und wenn wir ihn nicht hatten, traten sie uns auch. Es war das zynischste Team, gegen das ich je gespielt habe."

"Der uruguayische Spieler war schon immer draufgängerisch, aber heute sieht man Tritte, Ellbogenchecks, Kopfstöße. Wir damals waren aggressiv und spielten hart, waren aber nie bösartig. Die Aktion von mir war höchstens Gelb. Du kannst sie dir 20 Mal ansehen. Ja, es war eine harte Aktion, aber es ist eine gelbe Karte. Es gab schlimmere. Damit wäre ich doch schon für den Rest der Partie gestraft gewesen. Aber es war kein direkter Platzverweis. Wenn ich es mir heute nochmal ansehe, ist es kein klarer Platzverweis. Ich würde mir die Aktion gerne einmal genauer ansehen, um meine Meinung ändern zu können und zu sagen: 'Ja, der Schiedsrichter hatte Recht.'"