Mittwoch 07 September 2016, 12:23

Arshavin: "Muss über jede Minute auf dem Platz nachdenken"

Als Andrei Arshavin im März dieses Jahres einen Vertrag beim kasachischen Klub FC Kairat unterschrieb, gingen viele davon aus, dass er seine Karriere dort ausklingen lassen würde – schließlich feierte er im Mai seinen 35. Geburtstag. Doch diese Einschätzung erwies sich als grundfalsch. Der Ex-Star von Zenit St. Petersburg, dem FC Arsenal und der russischen Nationalmannschaft hat es immer noch drauf.

Wegen verschiedener Probleme kam Arshavin bei seinem vorherigen Klub FC Kuban Krasnodar ein halbes Jahr so gut wie nie zum Einsatz. Mit dem Wechsel zum FC Kairat bekommt er nun wieder, was er am dringendsten braucht, nämlich Einsatzzeit. Die Meisterschaft in Kasachstan beginnt im Frühjahr und endet im Herbst. So konnte Arshavin dort innerhalb von knapp fünf Monaten 25 Partien absolvieren, 21 in der Liga und vier in der Qualifikation für die UEFA Europa League. Insgesamt brachte er es dabei auf acht Tore.

Der russische Star fasste die Begründung für seinen Wechsel nach Kasachstan im Interview mit FIFA.com kurz und knapp so zusammen: "Die haben mir ein Angebot gemacht und ich habe es angenommen."

Kasachstan liegt am Rande Europas und bekommt im Ausland nicht allzu viel Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei erweisen sich die Nationalmannschaft und auch die einheimischen Klubs in jüngster Zeit immer häufiger als schwere Gegner, insbesondere im eigenen Land. Man muss nur die Polen fragen, die gleich zum Auftakt der Qualifikation für die FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Russland 2018™ zwei Punkte in Astana liegen ließen. Wie sieht Arshavin das Umfeld in Kasachstan im Vergleich mit dem, was er aus Russland und England kennt?

"Mit England lässt sich das hier natürlich nicht vergleichen, aber das gilt ja nicht nur für Kasachstan sondern für nahezu alle anderen Länder", so seine Einschätzung. "Einzig Deutschland kann da wohl mithalten. Prinzipiell ist das Umfeld mit dem in Russland vergleichbar. Die Infrastruktur in Russland ist allerdings mittlerweile etwas besser. Zudem werden dort ja mehrere Stadien für die WM neu gebaut oder modernisiert. Die Stadien hier sind ganz ähnlich. Einige sind noch Überbleibsel aus der post-sowjetischen Ära. Manchmal ist der Rasen besser, manchmal aber auch nicht. Hier beim FC Kairat ist das Umfeld eigentlich ganz anständig."

"Kasachstan bei der WM? Warum eigentlich nicht?" "Ich sage den Spielern hier immer, dass Kasachstan nicht unbedingt die schwerste Qualifikationsgruppe für die WM 2018 erwischt hat (mit Rumänien, Dänemark, Polen, Montenegro und Armenien, Red.). Eigentlich kann man in dieser Gruppe kein Team als hohen Favoriten bezeichnen. Zu Hause kann es Kasachstan auf jeden Fall mit all diesen Gegnern aufnehmen. Und wenn es zu Hause gut läuft, dann kann man ein gutes Abschneiden anpeilen. Wer weiß, vielleicht sehen wir ja Kasachstan tatsächlich bei der WM in Russland… Bei den Vereinen liegen Astana und Kairat gleichauf mit anderen Klubs, die um die Qualifikation für die UEFA Champions League oder die Europa League spielen."

Mit Arshavins Hilfe schaffte es Kairat in dieser Saison immerhin bis in die zweite Runde der Europa-League-Qualifikation. Nach einem leichten Sieg gegen den albanischen Vertreter KF Teuta Durres unterlag das Team aus Almaty in der zweiten Runde knapp gegen Maccabi Tel-Aviv, das bereits Erfahrung in der Gruppenphase der UEFA Champions League sammeln konnte. Arshavin brauchte nicht viel Zeit, um sich in seinem neuen Umfeld einzuleben. Schon bald zog er mehr und mehr die Kontrolle an sich und trug maßgeblich zum Aufschwung in der Tabelle bei. Nach dem noch durchwachsenen Saisonstart hat sein Team nun fast zum Tabellenführer FC Astana aufgeschlossen.

Da Arshavin seine Brötchen nun am Rande Europas verdient, bekommt außer seinen vielen treuen Fans kaum jemand etwas von seinen starken Leistungen mit. Es war daher keine große Überraschung, dass er nicht in Russlands Kader für die UEFA EURO 2016 stand. Schließlich ist sein letzter Einsatz in der Nationalmannschaft bereits vier Jahre her.

Doch ein besonders schönes Tor Ende Juli sorgte nun für viel neuerliche Aufmerksamkeit. Mit einem Mal wurde in Russland, England und überall, wo sein herausragender Treffer in der Partie gegen den FC Taraz am 22. Spieltag der kasachischen Liga gezeigt wurde, wieder über Arshavin diskutiert. Der Treffer gehörte ohne Zweifel zu den schönsten, die im Weltfussball im Sommer erzielt wurden.

Arshavin nahm noch vor der Strafraumgrenze einen Querpass von Anatoliy Tymoshchuk an beförderte die Kugel mit einer eleganten Bewegung mit der Hacke an seinem Bewacher vorbei. Dann ließ er einen Verteidiger ins Leere laufen, indem er sich den Ball wieder auf den rechten Fuß legte, wodurch er sich gleichzeitig ein wenig Raum verschaffte. Mit einem perfekten Heber beförderte er die Kugel dann über weitere Verteidiger und den Torhüter hinweg in die Maschen.

"Das passierte alles wie von selbst", sagt er selbst über diesen Ablauf. "Zuerst ließ ich einen Verteidiger aussteigen, dann einen zweiten. Als ich dann sah, wie viele Gegner vor mir auftauchten, gab es keine andere Möglichkeit zu einem Torschuss."

"Cherchesov ist die ideale Wahl für Russland" Nach diesem Treffer würden seine Arbeitgeber ihn wohl liebend gern noch eine weitere Saison in Almaty halten, wo Arshavin bisher nur einen Jahresvertrag mit Verlängerungsoption unterschrieben hat. Nach Russlands schwachem Abschneiden bei der UEFA EURO werden allerdings in der Heimat die Stimmen lauter, die seine Rückkehr in die Nationalmannschaft fordern, der es an Kreativspielern fehlt. Doch Arshavin ist vorsichtig, wenn es um seine Zukunft geht.

"Es gibt derzeit noch keinerlei Pläne. Die Zeit wird zeigen, was passiert. Über die Nationalmannschaft lässt sich eigentlich nichts sagen. Ich habe jedenfalls sehr lange nicht mehr für mein Land gespielt. Sollte eine Nominierung kommen, werden wir darüber sprechen. Ehrlich gesagt bin ich in einem Alter, in dem ich über jede Minute auf dem Platz nachdenken muss. Pläne für die Zukunft lassen sich jedenfalls kaum machen."

Die russische Nationalmannschaft, mit der Arshavin bei der UEFA EURO 2008 noch bis ins Halbfinale vorgestoßen war, spielt unter einem neuen Cheftrainer. Stanislav Cherchesov wurde die Aufgabe übertragen, das Team bei den zwei großen Turnieren in der Heimat zu leiten, dem FIFA Konföderationen-Pokal 2017 und der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft 2018™. Arshavin ist mit dieser Wahl des russischen Fussballverbandes voll und ganz einverstanden: "Ich denke, dass er in der aktuellen Situation die ideale Wahl ist."

In kaum einem Jahr wird Arshavins Geburtsstadt Sankt Petersburg zum Mittelpunkt des FIFA Konföderationen-Pokals. Hier finden das Eröffnungsspiel, das Finale und zwei weitere Partien statt. "Das wird für Sankt Petersburg eine Riesensache", freut sich der Stürmer. Und wer weiß, vielleicht erlebt die Fussballwelt ja dort noch den Abschied eines der besten russischen Spieler der Gegenwart vor den eigenen Fans.