Dienstag 21 Juni 2016, 15:28

Dguig: Architekt der marokkanischen Zukunft

Darauf hat Marokko seit langem gewartet. Mit dem ersten Pflichtspielsieg gegen den Erzfeind Ägypten beendeten die Atlaslöwen die seit 20 Jahren andauernde Vorherrschaft der Pharaonen im afrikanischen Futsal. Die Marokkaner hätten sich keine bessere Gelegenheit aussuchen können als das Finale der CAF Futsal-Afrikameisterschaft am 24. April, das sie mit 3:2 für sich entschieden. Am kommenden September fliegen sie nun als kontinentaler Meister zur FIFA Futsal-Weltmeisterschaft 2016 nach Kolumbien.

"Ich hatte den Eindruck, dass wir die stärkste Mannschaft waren. Wir fühlten uns besser vorbereitet und waren einfach besser. Das ist der Aspekt an unserem Sieg, der mich am meisten befriedigt. Er war eine logische Folge", erklärt der Nationalcoach Marokkos, Hicham Dguig, im Gespräch mit FIFA.com. Als Beweis für die Zuversicht, die ihn beseelte, hatte der Trainer seinen Rücktritt angekündigt, falls es ihm nicht gelingen sollte, seine Schützlinge zur WM zu führen. "Ich kenne den afrikanischen Fussball und ich kenne den Wert meiner Spieler. Ich war mir einfach des Potenzials bewusst, das sie haben."

Es war ein kalkuliertes Risiko, denn der Architekt des marokkanischen Erfolgs überlässt nichts dem Zufall. Seine Worte sind wohl überlegt, seine Handlungen durchdacht. Dies ist ein für ihn typischer Wesenszug. Von Spiel zu Spiel überzeugte er seine Spieler immer wieder aufs Neue davon, dass seine Vision machbar ist. "Ich spüre, dass mein Team mir großes Vertrauen entgegenbringt. Einige von ihnen waren manchmal ein wenig skeptisch, was meine Entscheidungen betraf, doch sie konnten feststellen, dass sie gut begründet waren. Das hat viele Dinge ausgelöst, und dieser Sieg gegen den Afrikameister ist ein wahrer Erfolg", freut er sich.

Kollektive Intelligenz Der FIFA-Instrukteur Dguig ist durch und durch ein Stratege, der es liebt, das Spiel mit dem nötigen Abstand zu verstehen und auseinanderzunehmen. Der Futsal mag keine exakte Wissenschaft sein, aber das Verständnis der grundlegenden Taktik dieser Disziplin macht nach Meinung des 44-Jährigen den Unterschied aus. "Futsal besteht aus einer Vielzahl von Viererkombinationen aus der Geometrie. Es ist wichtig, über Vektoren und Matrizen nachzudenken", erklärt der marokkanische Taktikfuchs. "Ich versuche, meinen Spielern diese kollektive Sichtweise zu vermitteln. Ideal wäre es, in der Lage zu sein, dass alle zum gleichen Zeitpunkt das Gleiche denken. Ich lege Wert auf die kollektive Intelligenz. Der taktische Aspekt wird im Futsal immer wichtiger. Alle meine Spieler sind individuell sehr intelligent, aber auf diesem Niveau ist das noch nicht ausreichend."

Andererseits gehört Dguig nicht zu den Menschen, die sich etwas vormachen. Es kommt für ihn nicht infrage, sich Ziele zu setzen, die mit der Wahrheit auf dem Platz nichts mehr gemein haben. "Ich kann von meinen Spielern nicht das Unmögliche verlangen. Ich kenne den Futsal zu gut und bin mir sehr wohl dessen bewusst, wie das Niveau in Afrika ist, um nicht abzuheben", sagt der frisch gebackene kontinentale Meister mit Blick auf das weltweite Gipfeltreffen. "Wir sind der Afrikameister einer Disziplin, die sich noch mitten in der Entwicklung befindet. Marokko hat sich in den letzten Jahren stark verbessert. Ich habe einen Vier-Jahres-Plan vorgelegt, um dieses Wachstum fortzusetzen mit dem Ziel, die nächste WM mit noch größeren Ambitionen in Angriff zu nehmen", sagt der Nationalcoach. "Wir konnten auf die Unterstützung und den Willen des marokkanischen Verbands zählen, um den Gipfel Afrikas zu erreichen, und das ist erst der Anfang."

Ein Finale zum Auftakt Als nächstes wartet nun die Welt. Und sie zeigt sich von ihrer furchterregendsten Seite, denn die Marokkaner werden es in ihrer Gruppe mit Spanien, Iran und Aserbaidschan zu tun bekommen. Bei ihrer zweiten WM-Teilnahme nach Thailand 2012, wo die Atlaslöwen nach drei Niederlagen in der Gruppenphase ausschieden, treffen sie nun auf den Europameister, den Asienmeister und eine aufstrebende europäische Futsalmacht. "Ein schlimmeres Los hätte man sich nicht ausdenken können", erregt sich Dguig.

Der Trainer bleibt aber seiner rationalen Linie treu und verliert nicht die Bodenhaftung. "Die Anderen sind ganz einfach stärker als wir", erklärt er. "Aserbaidschan ist diejenige Mannschaft, die noch am ehesten in Reichweite liegt. Sie ist wohl der einzige Weg, um von einem dritten Platz zu träumen", sagt er, bevor er eine mögliche Qualifikation für die zweite Runde anspricht. "Wir können nur von einer Achtelfinalteilnahme träumen, wenn wir das Spiel gegen Aserbaidschan gewinnen, gegen die wir ins Turnier starten. Wir werden unsere Vorbereitung auf dieses für beide Seiten entscheidende Duell ausrichten. Es wird unser persönliches Finale."

Gleichwohl blickt Dguig nicht minder optimistisch in die Zukunft. Wichtig wird sein, dass seine Schützlinge geduldig und lernwillig bleiben. "Wir haben bereits eine sehr gute Grundlage. Ich bin davon überzeugt, dass wir in Zukunft höhere Ziele anvisieren können. Hierfür müssen wir die Professionalisierung des Futsals weiter vorantreiben und engagiert bleiben." Da trifft es sich gut, dass die Atlaslöwen einen WM-Platz ergattert haben, um ihr Wachstum zu beschleunigen. Einen Lehrer hatten sie schon, eine bessere Schule hätten sie kaum finden können.