Montag 19 September 2016, 04:30

Argentiniens anarchischer Europäer

Es war eher ein Lächeln der Erleichterung als der Freude auf seinem Gesicht, als Alan Brandi durch die Gänge des Coliseo Bicentenario von Bucaramanga schlenderte. Dabei klang zur Feier des Tages laute Musik aus der Kabine. Andererseits war das verständlich, denn sein Team hatte es gerade noch geschafft, im letzten Gruppenspiel der FIFA Futsal-Weltmeisterschaft Kolumbien 2016 gegen Costa Rica nach anfänglichem 0:2-Rückstand mit einem Unentschieden das gesteckte Ziel zu erreichen: den ersten Platz in Gruppe E.

Brandi ist aus verschiedenen Gründen kein typischer argentinischer Futsalspieler. Zunächst, weil er relativ neu in dieser Disziplin ist und erst vor weniger als zehn Jahren zu spielen begann. Aus diesem Grund - wie er selbst zugibt - hat er einen etwas ungewöhnlichen Stil entwickelt. "Mein Spiel ist etwas anarchisch, denn ich habe erst an der Uni mit dem Futsal begonnen", erklärt er im Gespräch mit FIFA.com. "Deshalb ist es vielleicht ein wenig verrückt und sicher nicht perfekt! Nicht schlechter, nicht besser, dafür unvorhersehbar."

Ein weiterer Umstand, der ihn bei seiner ersten WM und erstem Endrundenturnier mit La Albiceleste von seinen Teamkameraden unterscheidet, ist, dass er in Spanien aufgewachsen ist. Der auf den Kanarischen Inseln als Sohn argentinischer Eltern in Las Palmas geborene Brandi mag einen europäischen Pass besitzen, aber er hatte in seiner Kindheit reichlich Gelegenheit, eine starke Bindung zum Geburtsort seiner Eltern aufzubauen.

"Als Kind habe ich einmal im Jahr Argentinien besucht, weil meine ganze Familie - Großmutter, Großvater, Tanten, Onkel - dort gelebt haben", blickt er auf die Reisen nach Buenos Aires zurück. "Die Leidenschaft für den Fussball in Argentinien ist unglaublich und als Kind liebte ich das - ich schaute immer von dort aus die Spiele, als ich klein war. Selbst heute noch ist Lionel Messi mein Idol und Argentinien ist einfach ein fussballbegeistertes Land."

Nach dem Umzug auf das spanische Festland nach Alicante sind es heute seine Familienmitglieder, die sich ihrerseits vor dem Fernseher zusammendrängen, um seine WM-Leistungen zu verfolgen. "Sie schauen in Spanien alle zu, obwohl die Spiele erst um drei Uhr morgens gezeigt werden", sagt er gleichzeitig stolz und entsetzt.

"Meine Eltern gehen erst um fünf zu Bett und stehen zwei Stunden später wieder auf. Sie können nicht schlafen, aber sie freuen sich, weil ich meine erste WM spiele! Sogar meine Frau und meine fünf Monate alte Tochter schauen von Portugal aus zu."

Seiner neugeborenen Tochter hatte er den Führungstreffer gegen die Salomon-Inseln, der gleichzeitig sein erstes WM-Tor war, gewidmet. "Ich denke den ganzen Tag an sie. Es ist schwer, so weit weg von ihr zu sein. Aber wenn sie groß ist, wird sie sehen können, dass ihr Papa bei einer WM gespielt hat", sagt der Stürmer von Benfica strahlend.

Die Ironie des Abends bestand für Brandi darin, dass die erfolgreiche Aufholjagd wichtig war, um nicht auf sein Geburtsland Spanien zu treffen. Andererseits wäre aber ein Duell mit seiner Wahlheimat Portugal möglich gewesen, wenn Argentinien noch ein weiteres Gegentor kassiert und 0:3 verloren hätte. Aus sportlicher Sicht herrscht auf jeden Fall Erleichterung, dem zweifachen Weltmeister aus dem Weg gehen zu können. "Es wäre etwas Besonderes gewesen, aber sehr viel schwerer, als wir uns das für das Achtelfinale gewünscht hätten", sagt er lachend.

Das mühsam erkämpfte Unentschieden, das Brandi im Rückblick mit gemischten Gefühlen analysiert, beschert Argentinien nun in Bucaramanga ein Duell gegen die Ukraine.

"Wenn wir voller Intensität spielen, sind wir ein tolles Team. Aber in der ersten und in Teilen der zweiten Halbzeit haben wir unser Potenzial nicht ausgeschöpft", fasst er zusammen. "Aber wir hatten zehn gute Minuten, und das hat gereicht."

Am Montag werden die Argentinier versuchen müssen, dies vier Mal so lange durchzuhalten, wenn es im Achtelfinale um Alles oder Nichts geht.