Donnerstag 17 März 2016, 09:01

Guyana im Aufwind

Guyana - der Name aus einer längst ausgestorbenen Amazonas-Sprache bedeutet 'Land der vielen Gewässer'. In der Tat durchschneiden tiefdunkle Flüsse wie dicke Venen den dichten Regenwald und machen den Dschungel noch undurchdringlicher. In diesem kleinen Land im Nordosten des südamerikanischen Kontinents ist Fussball so etwas wie ein Lebenselixier.

"Jeder hier spielt auf der Straße Fussball", erzählt Vurlon Mills FIFA.com. Der Shooting-Star der Nationalmannschaft des Lande fährt fort: "Wenn es keine Arbeit gibt, lässt man einen Ball aufspringen und schon wird gespielt. So einfach ist das!"

Das Land grenzt im Süden an Brasilien. Die meisten Menschen leben jedoch dicht gedrängt auf einem schmalen Streifen an der Atlantikküste im Norden. Der Fussball erreichte Guyana, früher eine niederländische Kolonie und später ein britischer landwirtschaftlicher Vorposten, auf dem Weg über das Wasser. Die Goldenen Jaguare, wie das Nationalteam heute gelegentlich genannt wird, streiften die typischen gelben Trikots erstmals 1905 über. Heute, mehr als ein Jahrhundert später, ist das Team erneut im Aufwind. Die Verbesserung um sechs Plätze auf den 156. Rang in der letzten FIFA/Coca-Cola-Weltrangliste ist Beleg für die gegenwärtige positive Entwicklung.

Ameri-bbean "Wir befinden uns in einer besonderen Lage", merkt Mills an und bezieht sich dabei auf die besondere Position des Landes an einer kulturellen und geographischen Schnittstelle. Guyana liegt zwar in Südamerika, spielt jedoch in der Karibik Fussball. Es ist das einzige englischsprachige Land auf dem südamerikanischen Kontinent und sowohl Mitglied der Caribbean Community (CARICOM) wie auch der Union Südamerikanischer Nationen. "Wir sind weder das eine, noch das andere", fügt er hinzu, und sein kreolischer Dialekt lässt einen an die Inseln denken, die vor der Küste Guyanas liegen.

Reisen in die und aus der Hauptstadt Georgetown sind alles andere als unkompliziert. "Wir spielen ständig gegen unseren Nachbarn Surinam, aber noch weiter zu reisen, ist ziemlich schwierig", erzählt Mills und nimmt die Komplikationen des Lebens eines Fussballspielers in diesen Breiten mit Humor. "Bestimmte Orte hier zu erreichen, kann fast so hart wie eine anstrengende Trainingseinheit sein. Drei oder vier Anschlussflüge! Da braucht man einen ganzen Tag, um sich zu erholen!"

Guyanas internationale Bilanz erinnert an die Flüsse, die das Land durchkreuzen, mal nach Norden und dann wieder nach Süden fließen und sich immer wieder aufstauen. Nachdem die Mannschaft das erste Länderspiel verloren hatte, bestritt sie 16 Jahre lang kein Spiel mehr. Zu Beginn dieses Jahrtausends hat sich jedoch Einiges geändert. Guyana verpasste nur knapp die Qualifikation für den CONCACAF Gold Cup 2007 und erreichte im November 2010 die bislang höchste Platzierung in der Weltrangliste mit Position 86. 2012 gelang der bis dahin größte Erfolg, als man Trinidad und Tobago in der Qualifikation für die FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Brasilien 2014™ schlug und die zweite Gruppenphase der CONCACAF-Qualifikation erreichte.

Damals bestiegen die Goldenen Jaguare Flugzeuge, wechselten sie mehrmals und trafen schließlich völlig übermüdet in Mexiko-City ein, wo sie im Aztekenstadion - Schauplatz von zwei WM-Endspielen - ihre Nationalhymne über die Lautsprecher hörten. Es war eine andere Welt, weit, weit entfernt vom Providence Stadium, dem Cricket-Platz in Georgetown, auf dem sie ihre Heimspiele austrugen.

"Es waren unglaubliche Zeiten", erzählt Mills, ein kreativer Mittelfeldspieler, der seine geringe Körpergröße durch sein trickreiches Spiel kompensiert, das er auf den holprigen Straßen Guyanas erlernt hat. "Teams wie Costa Rica oder Mexiko sind schon ein ganz anderes Kaliber. Ich habe das geliebt. man hat nichts zu verlieren und kann es allen beweisen", erzählte der Spieler, der bei der 0:7-Niederlage gegen Costa Rica ausgewechselt wurde. "Wenn du vor so vielen Zuschauern spielst und alle gegen dich sind, lernst du auch eine Menge über dich selbst."

Auch das Team Guyanas lernte seine Lektion. Den einzigen Punkt in der Gruppe holte man gegen El Salvador. In den sechs Parteien erzielte man fünf Tore und kassierte 24 Gegentreffer, auch wenn man so starke Spieler aufbieten konnte wie Carl Cort, der früher in England gespielt hatte, den beliebten Ricky Shakes und den aktuellen Spielführer Chris Nurse, der für den Puerto Rico FC in der zweiten Liga in den USA spielte.

Neue Liga, neue Situation Nach dem Sieg im vergangenen Monat gegen den Nachbarn aus Surinam ist Guayana, das vom früheren Coach von Trinidad und Tobago trainiert wird, wieder im Aufwind. Obwohl man nach dem Ausscheiden gegen St. Vincent/Grenadinen nicht mehr im Rennen für Russland 2018 ist, gibt es laut Mills noch genügend Grund zum Optimismus.

"Unsere neue Liga hat doch Einiges geändert", versichert er mit Blick auf die im vergangenen Jahr eingeführte GFF-Elite-Liga mit acht Mannschaften. Mehr Professionalität wird nicht möglich sein. Slingerz, das Team, dessen Spielführer Mills ist, steht an der Tabellenspitze und ist Favorit auf den Gewinn des ersten Titels. "Früher war alles etwas unorganisiert, aber diese neue Liga gibt Spielern wie mir die Gelegenheit, auf hohem Niveau zu spielen und wahrgenommen zu werden. Auch dadurch wird der Pool möglicher Nationalspieler größer."

Angesichts der nach wie vor starken Wurzeln des Straßenfussballs und des neuen professionellen Zeitalters im Fussball mit seinen neuen Strukturen, ist Mills überzeugt, dass nun der so schwierige Balanceakt gelingen wird. "Vielen hier fehlte einfach die Grundlage", sagt er und man hört, wie der Atlantikwind die Telefonleistung knistern lässt. "Aber das ändert sich nun. Dinge wie Taktik und intelligentes Spiel beginnen nun, sich durchzusetzen."