Montag 25 Mai 2020, 15:17

Die legendären "Lions" sind unsterblich

Am 25. Mai 1967 gewann Celtic Glasgow den Cup der Landesmeister und feierte somit den größten Erfolg seiner Vereinsgeschichte. FIFA.com kehrt zur historischen und überraschenden Krönung eines legendären Teams zurück.

Wie alle Geschichten, die gut enden, hat das Epos einen "märchenhaften" Aspekt, durch den Celtic in die Annalen des runden Leders einging. Die von Jock Stein trainierten Jungen wurden alle in einem Umkreis von weniger als 50 km vom Celtic Park geboren, dem legendären "Käfig" für Spieler in grün und weiß gestreiften Tuniken. Zehn der "Lisbon Lions" wurden in der nahen Peripherie - weniger als 15 km - des Stadions geboren. Ein schottischer Sportreporter fasste die Leistung von Jock Stein und seinen Leuten auf seine Weise zusammen: "Zeigen Sie mir einen Trainer, der so etwas getan hat: den Europapokal mit einer Distriktmannschaft zu gewinnen".

Vor 1967 war es nur vier Vereinen gelungen, den begehrtesten Vereinspokal zu gewinnen: Real Madrid, Benfica Lissabon und den beiden Spitzenklubs aus Mailand. Keinem von ihnen war es gelungen, neben dem Europapokal auch noch die heimische Meisterschaft und den Landespokal zu gewinnen. Die Glasgower Mannschaft von Stein erreichte aber nicht nur diese drei Erfolge in einem Jahr. Der denkwürdige 2:1-Sieg von Celtic gegen Inter Mailand in Lissabon war nur der Höhepunkt einer Saison, in der der Verein an insgesamt fünf Wettbewerben teilnahm und alle gewann.

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Dabei setzte sich Celtic entgegen aller Erwartungen durch. Vor der Partie drehte sich eigentlich alles nur um Inter Mailand. Der Klub hatte den Wettbewerb bereits 1964 und 1965 gewonnen und wollte jetzt den dritten Europapokalsieg in Folge perfekt machen. Unter dem legendären Helenio Herrera hatten die Nerazzurri von 1962 bis 1966 drei Mal den Titel der Serie A gewonnen, den vierten Titelgewinn vergaben sie in einem Playoff-Spiel gegen Bologna. Auch im Interkontinentalpokal war Inter bereits zu Ruhm und Ehre gekommen.

Der Anblick der Gegenspieler im Tunnel ließ selbst bei einigen Celtic-Spielern Zweifel an der Ebenbürtigkeit mit dem Gegner aufkommen. "Da waren sie", erinnert sich Jimmy 'Jinky' Johnstone, der Star unter Steins Spielern. "Alle 1,80 Meter groß mit sonnengebräunten Gesichtern wie in der Ambre-Solaire-Werbung, Colgate-Lächeln und glänzenden, glatt zurückgekämmten Haaren. Sie rochen sogar schön! Und auf der anderen Seite waren wir - Zwerge. Mir fehlen Zähne, genauso wie Bobby Lennox und dem alten Ronnie Simpson, oben oder unten. Die Italiener schauten auf uns herab, und wir grinsten unser tolles zahnloses Grinsen zurück. Wir müssen ausgesehen haben, wie eine Zirkustruppe!"

In dem Augenblick überraschte Bertie Auld, Steins Mittelfeldregisseur, die Inter-Spieler noch mehr, als er spontan das Celtic-Lied anstimmte. "Ich glaube, die Italiener dachten, sie hätten es hier mit einer Thekenmannschaft zu tun", so Mannschaftskapitän Billy McNeill kichernd, als er an die Reaktion der Gegner zurückdenkt.

1967, A team group picture of Glasgow Celtic FC, who went on to win the European Cup

'Schöner und kreativer Fussball in Reinkultur'

Herreras Spieler waren sich dann ganz sicher, dass schon alles nach Plan verlaufen würde, als sie gleich in der Anfangsphase einen etwas dubiosen Elfmeter verwandelten. Stein hatte jedoch vor der Partie davon gesprochen, das Spiel mit der Art von Fussball zu gewinnen, die "neutrale Beobachter davon überzeugte, dass die richtige Mannschaft gewonnen hat". Diesem Versprechen wurde sein Team in jeder Hinsicht gerecht. Das italienische Tor wurde sofort unter Beschuss genommen, und während Herreras Spieler zu ihrem berüchtigten Catenaccio-System zurückkehrten und hinten dicht machten, konnte man den Vorsprung nur dank einiger Glanzparaden von Giuliano Sarti halten.

Als Celtic dann nach 19 Minuten Spielzeit in der zweiten Halbzeit schließlich doch den Ausgleichstreffer erzielte, sagte das schon einiges über die Offensivqualitäten von Steins Mannschaft aus. Insbesondere wenn man berücksichtigt, dass die Vorlage vom rechten Verteidiger Jim Craig kam und ein weiterer Verteidiger, Tommy Gemmell, das Leder mit dem linken Fuß unhaltbar ins Tor hämmerte. "Ich weiß noch, dass ich mich gerade auf einer Position befand, von der aus ich alles perfekt beobachten konnte", erinnert sich McNeill. "Ich stand auf der Mittellinie und sah, wie Tommy sich für den Schuss in Position brachte. Da wusste ich sofort, dass wir den Europapokal gewinnen würden." Den Italienern sollte es im weiteren Spielverlauf nicht gelingen, ihre Abwehrschwächen auszuräumen, und obwohl Sarti mit weiteren Glanzparaden zunächst Schlimmeres verhinderte, gelang Celtic sieben Minuten vor Ende der Spielzeit doch noch der Siegtreffer. Torschütze war Stevie Chalmers, der nur seinen Fuß hinhalten musste und den Ball aus kurzer Distanz im Tor versenkte.

Schätzungsweise 7.000 Celtic-Fans waren zum Spiel nach Lissabon angereist - eine beachtliche Zahl für die damalige Zeit. 20 Minuten nach dem Schlusspfiff waren eben diese Fans noch immer im Stadion. Sie tanzten auf dem Platz und küssten den jetzt heiligen Rasen. Herrera zeigte sich nach der Niederlage als guter Verlierer. "Ich ziehe meinen Hut vor Celtic, sie haben verdient gewonnen", räumte er nach der Partie ein. "Sie sind hier couragiert und mit viel Risikobereitschaft aufgetreten. Der Europapokal ist in guten Händen."

Genau diese Würdigung der Spielweise, mit der der Pokal errungen worden war, freute Stein am meisten. "Es gibt in diesem Augenblick wohl keinen stolzeren Mann als mich auf Gottes Erden", so der Kommentar des ehemaligen Bergmanns zum Sieg seiner Mannschaft. "Der Sieg an sich war natürlich wichtig, aber es ist die Art und Weise, mit der wir gewonnen haben, die mich mit Zufriedenheit erfüllt. Wir haben es mit gutem Fussball geschafft. Schönem und kreativem Fussball in Reinkultur."

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Das Erbe der Löwen

Stein hatte sich als meisterhafter Taktiker und Trainer erwiesen, und er hatte auch etwas Prophetisches an sich, als er hinzufügte: "Da die Bastion der romanischen Länder jetzt einmal gefallen ist, werden auch noch weitere britische Mannschaften erfolgreich sein, möglicherweise Manchester United." Direkt in der nächsten Saison sollte es Manchester unter Sir Matt Busby dann auch tatsächlich gelingen, die Trophäe mitzunehmen.

Die Tore für Mannschaften aus nicht romanischen Ländern zu öffnen war jedoch nicht das einzige dauerhafte Vermächtnis von Steins Mannschaft. Das wird vor allem im Celtic-Park-Stadion deutlich, wo große Tribünen zu Ehren der Trainerikone und der "Lions" benannt wurden. Sie zollen einer Mannschaft Tribut, die von den Fans noch immer geliebt und verehrt wird, auch wenn die meisten inzwischen viel zu jung sind, um das Team noch mit eigenen Augen gesehen zu haben.

Im November letzten Jahres, als Celtic in der Champions League gegen Benfica Lissabon antreten musste, nahm der Klub die noch verbleibenden Mitglieder von Steins Mannschaft mit auf die Reise, damit sie an den Ort ihres größten Triumphs zurückkehren konnten - das Estadio Nacional. Dort wurden sie von 5.000 Glasgowern begeistert empfangen. Leider fand diese emotionale Rückkehr an den Ort des Erfolgs ohne Stein, Johnstone, Mittelfeldspieler Bobby Murdoch und Schlussmann Ronnie Simpson statt, die alle inzwischen verstorben sind.

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Um sie alle wurde in Schottland auf beispiellose Weise getrauert. Bei Johnstones Beisetzung säumten über 20.000 Menschen die Route des Trauerzuges und bereiteten ihrem Idol mit Gesängen und Beifallsbekundungen einen unglaublichen Abschied. Der gewiefte, kleine Flügelspieler war der absolute Liebling der Fans gewesen und schlug Henrik Larsson und Kenny Dalglish bei der Wahl zum besten Vereinsspieler aller Zeiten um Längen. Nach seinem Tod erreichte eine Single, deren Erlöse Menschen zugute kam, die an der Motor-Neuronen-Erkrankung (MND) leiden, Platz 1 der schottischen Charts. Johnstone war an eben dieser Krankheit gestorben.

Auch die einigende Kraft des Fussballs wurde hier besonders deutlich. Denn selbst in der bekanntlich in zwei Lager aufgespaltenen Stadt Glasgow zeigten die vielen Rangers-Schals inmitten des Bergs von grünweißen Erinnerungsstücken, die zu Ehren des Spielers vor dem Celtic Park niedergelegt wurden, dass es einen gemeinsamen Respekt für das Talent eines großen Spielers wie Johnstone gibt.

Der damalige Mannschaftskapitän der Rangers, Barry Ferguson, spendete sogar eine fünfstellige Summe aus den Erlösen seiner Autobiographie für die MND-Forschung. "Ich war noch nicht einmal auf der Welt, als Jinky seine beste Phase hatte, aber ich habe mich mit meinem Vater über ihn unterhalten. Der war schon immer ein Anhänger der Rangers, hatte aber trotzdem gewaltigen Respekt vor seinen Fähigkeiten", so der Mittelfeldspieler der schottischen Nationalelf damals. "Ich habe die Beerdigung im Fernsehen verfolgt, und das Ausmaß des Ganzen hat mich sehr beeindruckt. Die Straßen waren von Menschenmassen gesäumt, an manchen Stellen standen sie in zehn Reihen hintereinander. Es war, als wäre ein Premierminister verstorben."

In solchen Augenblicken erinnert man sich wieder daran, dass einer der ersten, die Stein nach seinem Sieg in Lissabon gratulierten, sein schottischer Landsmann und enger Freund Bill Shankly war. Die Worte des damaligen Trainers von Liverpool? "John, du bist unsterblich." Inzwischen hat sich gezeigt, dass Shankly Recht hatte. Allerdings ist in den Herzen der Celtic-Fans nicht nur der Trainer, sondern auch jeder einzelne Spieler seiner Mannschaft unsterblich geworden.