Samstag 14 Januar 2017, 15:15

Noboa und sein Abenteuer Russland

Von einem Augenblick zum nächsten wurde der Ecuadorianer Cristhian Noboa vom tropischheißen Guayaquil ins eiskalte Kasan katapultiert. Im Alter von 22 Jahren entschloss er sich, eine Herausforderung anzunehmen, die sein Leben für immer verändern sollte. Er wechselte nach Russland. "Solche Temperaturen hatte ich vorher noch nie erlebt! In Ecuador, in Guayaquil, haben wir das ganze Jahr über 30 bis 35 Grad." Das war etwas ganz anderes als der verschneite Winter mit Temperaturen unter dem Gefrierpunkt, den er bei seiner Ankunft erlebte.

Der Kälte kann man wenigstens noch mit warmer Kleidung die Stirn bieten, aber wie sieht es mit der Sprache aus? "Das erste Jahr war sehr schwer", meint Noboa rückblickend im Gespräch mit FIFA.com. "Die Anpassung an die Kultur, den Winter und das Klima war ein enormer Kraftakt für mich. Denn in Kasan spricht kaum jemand Englisch. Es wurde nur Russisch gesprochen. Und ich sprach auch kein Englisch! Die Verständigung war wirklich schwierig." Selbst die Kommunikation mit der Familie in Ecuador gestaltete sich kompliziert, denn 2007 waren Videoanrufe noch nicht gang und gäbe und er musste auf andere Systeme zurückgreifen. "Am Anfang lief die gesamte Kommunikation über den Messenger. Darüber haben wir fast ständig in Verbindung gestanden. Später dann über Skype."

Der ecuadorianische Mittelfeldspieler lächelt bei der Erinnerung an diese Zeit, denn trotz dieser Anfangsschwierigkeiten hätte das Russlandabenteuer für ihn nicht besser laufen können. Zehn Jahre später, nach Zwischenstopps bei Rubin Kasan und Dinamo Moskau und einem kurzen Intermezzo beim griechischen Klub Paok Thessaloniki ist Noboa nämlich auf eigenen Wunsch noch immer in Russland aktiv. Er zählt zu den Stars des FK Rostow, mit dem er 2016 Vizemeister wurde.

Der Mittelfeldspieler kennt den Grund für den Übergang von "Was mache ich eigentlich hier?" zur vollständigen Integration ganz genau. "Nachdem ich sie kennengelernt hatte, war alles ganz anders", meint er lächelnd. Bei dieser "Sie" handelt es sich um Olya Romanova, seine Frau und Mutter seiner beiden Söhne Christopher und Lucas. Sie lernten sich im zweiten Jahr seines Aufenthaltes in Russland kennen.

"Sie hat mir bei der Sprache geholfen, bei kulturellen Dingen und dafür gesorgt, dass ich mich besser mit den Leuten verstehe. Das war ein grundlegender Wandel, und mir wurde bewusst, dass ich plötzlich ein ganz anderer Mensch war." Das machte sich auch auf dem Spielfeld bemerkbar. "2008 stand ich bei 16 von insgesamt 30 Partien in der Startelf, während ich im Vorjahr kaum zum Einsatz gekommen war. Außerdem wurden wir am Ende Meister. Ich sage immer wieder, dass ich vieles von dem, was ich erreicht habe, ihr zu verdanken habe."

Nachdem er nun ein Drittel seines Lebens in Russland verbracht hat, erklärt Noboa lachend: "Ich betrachte mich mittlerweile als halb Ecuadorianer, halb Russe. Ich beherrsche die russische Sprache nicht zu 100 Prozent, weil man immer wieder Neues dazulernt und weil es eine sehr schwierige Sprache ist. Aber ich kann mit den Leuten reden und mich verständlich machen. Darauf kommt es an. Mein ältester Sohn spricht ziemlich gut Spanisch, der jüngere versteht Spanisch, antwortet mir aber auf Russisch. Und meine Frau spricht auch schon Spanisch."

Sehenswertes Noboa hat bereits in Kasan, Moskau und Rostow am Don gelebt, drei Spielorten der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Russland 2018™. In den beiden erstgenannten Städten finden außerdem Spiele des diesjährigen FIFA Konföderationen-Pokals statt. Daher haben wir den Mittelfeldspieler gebeten, in die Rolle des Gastgebers zu schlüpfen. "Von den drei Städten ist Moskau die geschichtsträchtigste", betont er. "Dort gibt es vieles zu entdecken, beispielsweise den Kreml, der sehr schön ist. Auch der Rote Platz ist beeindruckend, und ich war überrascht von der Metro. Man stellt sich irgendwie immer vor, dass die Metro alt und schmutzig ist...aber nein. Sie blickt auf eine lange Geschichte zurück, die meisten Stationen sind mit Marmor ausgekleidet, und sie ist sehr schön. Mir hat sie sehr gut gefallen."

Seine Lieblingsstadt ist allerdings eine andere. "Für mich ist Kasan eine Stadt, in der es sich sehr gut leben lässt und die von allem etwas bietet. Das Stadion liegt im Zentrum, und es gibt viele Sehenswürdigkeiten, zum Beispiel den Kreml oder die Moschee. Das sind die beiden Dinge, die ich am wärmsten empfehlen würde", meint er lächelnd.

Der Ecuadorianer erlebt die Vorbereitungen für beide Turniere hautnah mit. "Ich bin vor Ort und sehe die Stadien, die hier gebaut werden. In einigen davon konnte ich schon spielen, zum Beispiel in dem von Rubin Kasan. Es ist spektakulär. Die Stadien sehen super aus."

Ecuador befindet sich mitten im Qualifikationswettbewerb für die im nächsten Jahr stattfindende WM, und derzeit belegt La Tri in der Südamerika-Qualifikation den dritten Platz. Noboa möchte daher alle Fans dazu animieren, Russland einen Besuch abzustatten. "Ich würde es jedem empfehlen. Die Fans sollen herkommen, denn es wird ihnen wirklich gefallen. Sie werden einzigartige, sehr schöne Orte kennenlernen, und die Temperaturen werden zu dieser Zeit sehr angenehm sein, weil Sommer ist", fügt er mit einem Augenzwinkern hinzu.

Und sollte es doch einmal einen kälteren Tag geben, dann hat der Ecuadorianer die perfekte Lösung parat. Er empfiehlt einen Teller Borschtsch, eines seiner Lieblingsgerichte in Russland. "Das ist eine Suppe, die mit Roter Beete zubereitet und mit saurer Sahne oder Schmand verfeinert wird. Ich mag sie sehr gern. Allerdings sage ich das meiner Frau lieber nicht. Sie kocht sehr gut, und wenn sie das wüsste, würde sie jeden Tag Borschtsch für mich kochen", verrät er zum Abschluss gut gelaunt.