Montag 14 Mai 2018, 11:28

Nur noch ein Monat: Boban freut sich auf besondere Weltmeisterschaft

Genau einen Monat vor Beginn der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Russland 2018™ äußert sich der stellvertretende FIFA-Generalsekretär Zvonimir Boban zu verschiedenen Themen rund um die Endrunde. Unter anderem spricht Boban über eigene Erinnerungen an die WM-Teilnahme, über die Erwartungen an Russland als Gastgeber und den erstmaligen Einsatz von Video-Schiedsrichterassistenten (VAR) in der Geschichte des Turniers.

Boban war Teil der herausragenden kroatischen Nationalmannschaft, die zu der Erfolgsgeschichte schlechthin in Frankreich 1998 wurde. Kroatien bestritt damals seine erste Fussball-Weltmeisterschaft als unabhängige Nation und wurde auf Anhieb Dritter. Auch in seiner heute völlig anderen Rolle weiß Boban nur zu gut um die Bedeutung der WM und ihre Auswirkungen auf das Leben aller Beteiligten.

Wenn Sie sich an Ihre eigenen Erlebnisse von 1998 zurückerinnern, wie fühlen Sie sich dann einen Monat vor der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft? Während der Vorbereitung war ich sehr konzentriert und voller Emotionen. Unabhängig von Sieg oder Niederlage arbeiten wir gerade auf etwas Historisches hin. Egal, wie es ausgeht, man wird Teil der Geschichte. In Russland schreiben wir Geschichte für unseren Sport. Also: Ja, ich bin aufgeregt, aber das hält mich nicht davon ab, meine Arbeit seriös zu machen (lacht)! Wir haben einen tollen Partner. Der russische Staat ist fest entschlossen, eine großartige Weltmeisterschaft zu organisieren.

Womit rechnen Sie sportlich bei der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft in Russland? Die Weltmeisterschaft ist immer etwas Besonderes, Einmaliges und Emotionales. Außenseiter aus kleinen Ländern können Großartiges für ihre Länder leisten — und natürlich hoffe ich da auf mein Kroatien! Wir werden in Russland in jedem Fall etwas erleben, was man in anderen Sportarten so nicht erlebt. Die ganze Welt wird an einem Ort versammelt sein, in Millionen, wenn nicht gar Milliarden Farben, mit unglaublicher Leidenschaft für Länder, Mannschaften und Spieler. Eine Weltmeisterschaft ist nicht leicht zu beschreiben.

Was erwarten Sie sich von der russischen Bevölkerung in Sachen Gastfreundschaft und Atmosphäre? Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass ein sportlicher Wettbewerb, eine so atemberaubende Zusammenkunft wie die Weltmeisterschaft, das Beste in den Menschen hervorbringt – in Sachen Gastfreundschaft, fussballerisch, aber auch kulturell. Und was die Sicherheit angeht, kommt nicht mal eine Fliege in bestimmte Bereiche, wenn sie keine Fan-ID hat! Ich gehe davon aus, dass wir diese WM rundum genießen werden.

Erstmalig werden bei einer FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Video-Schiedsrichterassistenten (VAR) zum Einsatz kommen. Was ist der Gedanke dahinter?​ Der Grundgedanke hinter dem Video-Schiedsrichterassistenten (VAR) ist, für mehr Gerechtigkeit im Spiel zu sorgen. Ja, Gerechtigkeit ist ein großes Wort. Aber wir wollen mehr Ehrlichkeit im Spiel, korrektere Ergebnisse. Wir wollen die Institution Fussball schützen, die Schiedsrichter schützen. Kein Schiedsrichter ist nur ein Schiedsrichter, sie sind immer auch Menschen. Aber es geht auch um den Schutz der Spieler, die oft über Jahre auf die WM hingearbeitet haben. Deren Arbeit soll nicht in einer Sekunde zunichte gemacht werden, weil der Unparteiische mit seinem menschlichen Auge etwas übersieht. Und der Schiedsrichter ist nun mal ein Mensch, der Fehler machen kann. Wir sorgen jetzt für klare Verhältnisse und machen etwas, das schön längst hätte gemacht werden sollen.

Die Philosophie lautet: Maximaler Nutzen bei minimaler Beeinträchtigung. Und das haben wir in Turnieren mit VRA bereits erreicht. Deshalb halte ich es für eine großartige Sache. Es ist ein großer Schritt für den Fussball. Die FIFA und das International Football Association Board (IFAB) haben dieses System von Grund auf entwickelt. Die Ergebnisse sind herausragend. Ich kann mit vorstellen, dass es für die Zuschauer in Russland, die aus Ländern kommen, in denen VAR noch nicht eingesetzt wird, manchmal gewöhnungsbedürftig sein wird. Aber ich glaube auch, dass sie das Konzept verstehen und sich über den Videoassistenten informiert haben werden, wenn sie nach Russland kommen. Die Fans werden erkennen, dass es sich um etwas Großartiges für unseren Sport handelt. Unterm Strich stärken wir damit den Fussball. Das ist das Tolle am VAR-System.

Wie werden die VAR-Entscheidungen während der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft 2018 denn im Stadion vermittelt?​ Für die Kommunikation im Stadion haben wir ja vorab ein eigenes System entwickelt. Deshalb zeigt der Schiedsrichter mit den Händen das Bildschirm-Zeichen, wenn er sich eine Szene noch einmal ansieht. Da hat die Abteilung für technische Neuerungen einen ganz fantastischen Job gemacht. Alle entscheidenden Szenen der WM werden auf den Videoleinwänden in den Stadien zu sehen sein, also auch die strittigen Szenen, auf die sich die Prüfung bezieht. Außerdem wird auf den Anzeigetafeln klar erklärt, welche Entscheidungen durch die VAR getroffen wurden. Alles wird auf den großen Bildschirmen zu sehen sein. Die Zuschauer im Stadion legen großen Wert darauf, dass diese Entscheidungen auch kommuniziert werden.

Beeinträchtigt diese Technologie Ihrer Meinung nach den Spielfluss? Die belgische Universität KU Löwen hat dazu in unserem Auftrag eine Erhebung aus 1000 Spielen gemacht. Heraus kam, dass durch Video-Schiedsrichterassistenten eine Verzögerung von gerade einmal einem Prozent der Spielzeit verursacht wird. Das ist verschwindend gering. Überhaupt ist der Ball im Fussball ja gar nicht so viel im Spiel, wie alle denken. Bei der letzten Weltmeisterschaft war der Ball im Schnitt in jeder Partie nur 57,5 Minuten im Spiel. Schon jetzt verlieren wir also pro Spiel 35 Minuten oder sogar noch mehr. Bei jedem Freistoß verstreicht ungenutzte Zeit, aber das empfinden wir als normal. Aber streng genommen ist es nicht normal, dass wir in jedem Spiel im Schnitt neun Minuten bei Freistößen verlieren, sieben bei Einwürfen, fünfeinhalb bei Abstößen und viereinhalb bei Ecken.

Wenn wir also in etlichen Situationen ohnehin Zeit verlieren, warum sollten wir dann nicht 40 oder 50 Sekunden investieren, um zu kontrollieren, ob möglicherweise ein spielentscheidender Fehler gemacht wurde, der nicht nur das Ergebnis eines Spiels verändert, sondern auch das Schicksal von Spielern? Im Durchschnitt dauert eine Überprüfung eine Minute. In vielen Fällen sogar nur 20, 30 Sekunden. Unsere Schiedsrichter sind die Besten der Welt und bestens geschult. Sie haben an vielen Lehrgängen und an mindestens vier FIFA-Turnieren teilgenommen. Ein Großteil kommt zudem aus Ligen, in denen der Video-Schiedsrichterassistent schon eingesetzt wird. Wir haben also die besten Leute für das beste Turnier. Ich bin absolut zuversichtlich, dass alles rund um die Video-Schiedsrichterassistenten während der Weltmeisterschaft sonnenklar sein wird.

Welche Botschaft haben Sie an die Fans?​ Eine ganz einfache: Genießt die Weltmeisterschaft, genießt den Fussball und genießt Russland. Es wird für alle, die dabei sind, ein besonderer Moment in ihrem Leben.