Mittwoch 17 Januar 2018, 07:46

Lineker: WM-Tore sorgen für eine Explosion der Emotionen

  • Gary Lineker sprach exklusiv mit FIFA.com

  • Der Gewinner des Goldenen Schuhs von 1986 über seine WM-Erinnerungen

  •  Kane sieht er als Schlüsselfigur für Englands Chancen bei der WM 2018

Die meisten Fussballer durchlaufen während ihrer Karriere eine ähnliche Entwicklung. Wenn sie allmählich langsamer werden, lassen sich frühere Stürmer meist etwas weiter zurückfallen und ehemalige Mittelfeldspieler reihen sich nicht selten in die Abwehr ein.

Gary Lineker hingegen blieb während der gesamten Karriere seiner Spielweise treu. Er hatte seine Fähigkeit, Torchancen im gegnerischen Strafraum regelrecht zu riechen, über viele Jahre hinweg perfektioniert. Und so erzielte der Mann, der bei der FIFA Fussball-WM Mexiko 1986™ den Goldenen Schuh gewann, bis zu seinem Rücktritt fast ein Jahrzehnt später immer noch zahlreiche Abstaubertore.

Nachdem er seine Schuhe an den Nagel hängte, hat sich in Linekers Leben eine ganze Menge verändert. Heute ist er eines der bekanntesten Gesichter im britischen Sportfernsehen. In den Sozialen Medien ist Lineker sehr aktiv. Kürzlich leitete der frühere Stürmer von Leicester City, Tottenham Hotspur und Barcelona zudem die Endrundenauslosung für die FIFA Fussball-WM Russland 2018™.

FIFA.com traf sich mit dem sympathischen Lineker zu einem Gespräch über seine WM-Erinnerungen, sein erstes Tor auf der Weltbühne und die Chancen Englands in Russland.

Sie haben oft erzählt, wie wichtig Ihnen die WM schon als kleines Kind war. Was hat Ihnen Ihre erste WM-Teilnahme 1986 in Mexiko bedeutet?

Ich war unglaublich aufgeregt. Die WM ist doch das Ziel jedes Spielers. Und als wir dann dort waren, zeigten sich die enorm schwierigen Bedingungen. In Monterrey waren es damals 43 Grad, es war unglaublich hieß. Danach spielten wir im Aztekenstadion. Es war einfach fantastisch. Das erfüllte all unsere Vorstellungen von einer WM.

An welches Ihrer Tore bei der WM 1986 erinnern Sie sich noch besonders gut? Welches war das wichtigste? Wenn ich ein Tor von der WM 1986 wählen sollte, dann wäre es wohl das erste gegen Polen, denn ohne dieses erste hätte es die anderen vielleicht nie gegeben. Ich hatte in den letzten Länderspielen nicht getroffen und mein Platz im Team war in Gefahr, ebenso wie der aller anderen Spieler, denn wir hatten einen schlechten Start in die WM erwischt.

Das erste Tor war daher sehr wichtig, es hat alles verändert. Danach kam das Selbstvertrauen zurück und ein Gefühl der Erleichterung. Ein paar Minuten später gelang mir das zweite Tor und dann sogar noch eins. Ich hatte einen Hattrick erzielt – und plötzlich sah die Welt ganz anders aus! Ohne dieses erste Tor wäre mein Leben vielleicht ganz anders verlaufen.

Vier Jahre später haben Sie im WM-Halbfinale von Italien 1990 gegen Deutschland getroffen. Was ist Ihnen von diesem Spiel und diesem Tor noch in Erinnerung geblieben? Wir waren in diesem Spiel nicht der Favorit: die Deutschen hatten bis dahin keinerlei Probleme gehabt und sie hatten außerdem auch einen Ruhetag mehr zwischen ihrem Viertelfinale und dem Halbfinale. Wir hatten das Achtelfinale gegen Belgien erst in der Verlängerung gewonnen und auch das Viertelfinale gegen Kamerun erst in der Verlängerung für uns entschieden. Daher waren wir ziemlich erschöpft, aber wir haben trotzdem wirklich gut gespielt.

Ich erinnere mich noch vage an mein Tor, aber ich habe es so oft im Fernsehen gesehen, dass ich trotzdem ganz genau weiß, wie es ablief. Paul Parker schlug einen langen Ball nach vorn, der aufsprang und dann bei mir ankam. Ich habe ihn mir mit dem Oberschenkel auf den linken Fuß gelegt, der eigentlich mein schwächerer war, und dann habe ich einfach draufgehalten. Für meine Verhältnisse war das ein Tor aus der Distanz!

Ich glaube, der Ball flog jemandem durch die Beine. Sofort nach dem Schuss dachte ich "Mensch, der geht rein!" Das war ein absolut unglaubliches Gefühl. Leider war das Tor am Ende nicht so wertvoll, wie es in diesem Moment den Anschein hatte. Aber es war trotzdem ein magischer Moment.

Wie stark erinnern Sie sich noch an ihre Emotionen, als sie den Ball im Netz zappeln sahen? Ich glaube, diese Gefühle werde ich nie vergessen. Es war einfach ein tolles Gefühl, ein so schönes Tor zu erzielen, das auch noch so wichtig schien. Es lässt sich nur schwer beschreiben, wenn man ein wirklich wichtiges Tor erzielt. Es ist eine Explosion der Emotionen – ganz unterschiedlicher Emotionen. Man empfindet nicht nur Freude und Leidenschaft, sondern auch Erleichterung. Ganz besonders natürlich, wenn man mit 0:1 zurückliegt und nur noch zehn Minuten zu spielen sind. Plötzlich ist man wieder im Spiel.

Die Fans wissen ja, wie es sich anfühlt, wenn das Team bei einer WM ein wichtiges Tor erzielt. Alle sind außer sich vor Freude. Aber wenn man selbst der Torschütze ist, dann ist es ungefähr so, aber 50 Mal so intensiv.

Wie wichtig ist Harry Kane für die Aussichten Englands bei der FIFA Fussball-WM Russland 2018™? Harry wird für England von zentraler Bedeutung sein. Daran besteht kein Zweifel. Er ist ein Riesentalent und ein perfekter Mittelstürmer. Er kann aus nahezu jeder Position Tore schießen. Er kann von außerhalb des Strafraums treffen, er ist sehr stark in der Luft, er kann abstauben, er ist gut im Spielaufbau – eigentlich hat er keinerlei Schwächen. Er ist unverzichtbar für England – Wir brauchen ihn frisch und fit.

Wie sehen Sie ihn im Vergleich mit früheren englischen Stürmern? Wir hatten eine ganze Reihe starker Stürmer. Ich denke, er ähnelt am stärksten Alan Shearer, der ein ähnlicher Allround-Fussballer war. Er ist ähnlich schnell, er erzielt ähnliche Tore, per Kopf oder auch von außerhalb des Strafraums. Er kann die Kugel mit voller Wucht in den Winkel jagen und ist sehr ballsicher.