Montag 18 März 2019, 15:41

Koeman: "Es herrscht wieder eine Fussball-Euphorie"

  • Ronald Koeman hat bei den Niederlanden die Wende eingeleitet

  • Die Niederlande gewannen in der UEFA Nations League ihre Gruppe vor Frankreich und Deutschland

  • Mit FIFA.com sprach Koeman über die Ursachen und Gründe des Umschwungs

Als Ronald Koeman im vergangenen Februar Nationaltrainer der Niederlande wurde, durchschritt die Fussballnation gerade ein tiefes Tal. Lange Gesichter und eine mindestens ebenso lange Liste von Problemen erwarteten ihn.

Die negative Stimmung war durchaus verständlich. Denn nach dem dritten Platz bei der FIFA Fussball-WM Brasilien 2014™ waren die Niederländer zwei Mal in Folge in der Qualifikation für ein großes internationales Turnier gescheitert und hatten dabei drei Trainer verschlissen.

Eine baldige Besserung schien nicht in Sicht. Das Scheitern in der EM- und WM-Qualifikation war kein Zufall gewesen. Das Team kassierte Niederlagen gegen Teams wie Bulgarien, Island und die Tschechische Republik, gegen die letzten beiden sogar auch zu Hause.

Stars wie Arjen Robben, Wesley Sneijder und Robin van Persie, mit denen Oranje bei den beiden vorherigen WM-Endrunden auf dem Podium gelandet war, befanden sich im Herbst ihrer Karriere. Und die Suche nach würdigen Nachfolgern blieb erfolglos.

Der Beginn seiner Amtszeit hätte für Koeman kaum schwerer sein können: In der UEFA Nations League waren die Niederländer in einer Gruppe mit dem noch amtierenden Weltmeister Deutschland und dem späteren Nachfolger Frankreich gelandet. Doch der Ex-Nationalspieler ließ sich von all diesen negativen Vorzeichen nicht einschüchtern und nahm die Herausforderung an. Mit Erfolg: Statt der erwarteten Katastrophe gelang den Niederländern ein völlig unerwarteter Triumphzug.

Der Gruppensieg vor Frankreich und Deutschland hat zu einem vollständigen Stimmungsumschwung geführt. Hinzu kommen noch die aktuellen Erfolge von Ajax Amsterdam in der UEFA Champions League.

Koemans gute Laune im Gespräch mit FIFA.com im Vorfeld des Auftakts zur Qualifikation für die UEFA EURO 2020 war also durchaus verständlich.

FIFA.com: Herr Koeman, Sie sind jetzt seit gut einem Jahr niederländischer Nationaltrainer. In diesem Jahr hat es einen bemerkenswerten Stimmungsumschwung gegeben.Worauf führen Sie das zurück? Ronald Koeman: Die Erwartungen an das Team sind jetzt sehr viel höher als bei unserem Amtsantritt - und das ist eine gute Sache. In der Qualifikation für die UEFA EURO werden starke Leistungen von uns erwartet, was auf unsere Auftritte und die erzielten Resultate zurückzuführen ist. Wir sprechen von einer tief greifenden Verbesserung, denn als wir übernommen haben, waren die Fans der Nationalmannschaft alles andere als zufrieden. Glücklicherweise haben wir seitdem gute Ergebnisse eingefahren. Die Fans erkennen jetzt bei den Spielern wieder die Zufriedenheit, die sie bei Akteuren erwarten, die ihr Land vertreten dürfen. Zudem läuft es für PSV Eindhoven und Ajax Amsterdam in der Champions League sehr gut. Entsprechend herrscht im ganzen Land wieder eine regelrechte Fussball-Euphorie.

Sie haben das Team nach zwei gescheiterten Qualifikationen unter drei Trainern übernommen. Obgleich zwei davon enorm viel Erfahrung mitbrachten, war es ihnen nicht gelungen, das Ruder herumzureißen. Haben Sie vielleicht etwas gezögert, bevor Sie die Aufgabe annahmen? Nein, kein bisschen. Es war in gewisser Weise ein guter Zeitpunkt, denn allen war klar, dass sich etwas ändern musste. Es stimmt natürlich, dass damals die Grundstimmung sehr negativ war, vielleicht sogar zu negativ. Aber ich wusste stets, dass ich die Situation verbessern kann. Heute sind die Stadien bei Länderspielen wieder ausverkauft. Das war in den Jahren zuvor keineswegs immer so.

Sie haben es ja schon angesprochen. Neben der Nationalmannschaft feiert nun auch Ajax Amsterdam in der UEFA Champions League Erfolge. Welche Auswirkungen hat das auf die Nationalmannschaft? Das ist für uns eine große Hilfe. Die Eredivisie ist eine der Herausforderungen, denn sie ist nicht so intensiv wie die Ligen in England, Deutschland oder Spanien. Doch die Spiele von Ajax und PSV und deren Erfahrungen in der Champions League haben den Spielern die Intensität vermittelt, die sie auf höchstem Niveau brauchen.

Bei Ihrem Amtsantritt sagten Sie: "Wir haben genügend Talente, aber wir müssen einige Dinge verändern." Welche Dinge waren das, und wie schwer war es, sie zu verändern? Nun, wir wollten zunächst einmal auf eine Formation mit fünf Verteidigern umstellen. Das haben wir auch getan. Nach dem Sommer haben wir dann wieder auf eine Viererkette umgestellt. Man muss für so etwas bereit und offen sein. Wir haben festgestellt, dass die Spieler sich mit einer Viererkette wohler fühlten. Zudem spielen auch Ajax und PSV mit diesem System, so dass es für viele Spieler vertrauter ist. Es ist wichtig, dass die Spieler das System verstehen und sich damit wohlfühlen, denn abgesehen von großen Turnieren hat man als Nationaltrainer ja nicht viel Zeit, um mit den Spielern auf dem Trainingsplatz zu arbeiten.

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Es wird oft gesagt, dass ein Nationaltrainer andere Fähigkeiten benötigt, weil die Zeit mit den Spielern so begrenzt ist, wie Sie ja auch schon gesagt haben. Wie haben Sie sich an diese Rolle angepasst? Zunächst einmal ist es ein großartiger Job. Man muss einfach sehr stolz darauf sein, Trainer der Nationalmannschaft zu sein. Ich denke, es war ein guter Zeitpunkt, diese Aufgabe zu übernehmen, nachdem ich lange im Klubfussball tätig war, dreieinhalb Jahre davon in England. Natürlich ist es ganz anders als die Arbeit bei einem Klub, wo man alle paar Tage ein Spiel hat. Ich schaue sehr viele Fussballspiele und reise viel, um Nationalspieler zu treffen. In bestimmten Zeiten, beispielsweise im vergangenen September und Oktober, wo viele große Spiele anstanden, ist es einfach fantastisch. Aber von November bis März war es schwer, denn eigentlich passiert in dieser Zeit rein gar nichts. Ich habe gern Kontakt zu meinen Spielern, daher sind solche Zeiten für mich sehr schwer.

Die Mannschaft hat einen Umbau durchlaufen, nachdem mehrere wichtige Spieler ihren Rücktritt erklärt hatten. Es wurde sogar von einer "verlorenen Generation" gesprochen, die auf Robben und Sneijder folgen sollte. Wie haben Sie diese Herausforderung gesehen? Ich denke, dass es ganz normal ist, dass es auch mal Zeiten gibt, in denen nicht unzählige Talente nachrücken. Das gilt nicht nur für die Niederlande sondern auch für andere Länder. Für Nationaltrainer ist das keine leichte Situation, denn man kann die Entwicklung der jungen Spieler nicht beeinflussen, die erfolgt in den Klubs. Daher möchte ich noch einmal auf die Situation bei Ajax und PSV eingehen, deren Erfolge uns geholfen haben. Wenn man als junger Spieler mit 4:1 im Bernabeu-Stadion gewinnt – das hat schon Auswirkungen auf das Selbstbewusstsein. Aber auch wenn genügend junge Spieler nachrücken, muss es gelingen, sie ins Team zu integrieren. Das war durchaus eine Herausforderung, denn wir haben van Persie, van der Vaart, Sneijder und Robben verloren – alles absolute Spitzenfussballer, die viel Kreativität ins Team eingebracht haben und großen Einfluss hatten. Wenn man Spieler dieser Klasse verliert, braucht man neue Führungsfiguren. Glücklicherweise hatten wir sie. Mein Kapitän Virgil van Dijk ist sehr, sehr wichtig, aber auch Spieler wie Gini Wijnaldum und Kevin Strootman sind wichtig.

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Einen schwierigeren Start als eine Nations-League-Gruppe mit den beiden letzten Weltmeistern kann es kaum geben. Wie haben Sie es geschafft, diese Gruppe zu gewinnen? Das war ein fantastischer Erfolg, denn niemand hatte erwartet, dass wir eine Gruppe mit Frankreich und Deutschland gewinnen könnten. Ich denke, gleich das erste Spiel war das Schlüsselspiel, obwohl wir es verloren haben [1:2 gegen Frankreich in Paris]. Trotz des Ergebnisses haben wir wirklich gut gespielt und die Spieler haben gemerkt, dass sie selbst mit dem Weltmeister mithalten können. Das hat für sehr viel Selbstvertrauen gesorgt.

Ganz sicher wären Sie gern als Nationaltrainer bei der Weltmeisterschaft dabei gewesen. Doch sie konnten das Turnier mit etwas Distanz beobachten und dabei vielleicht Trends entdecken, was die Taktik und die Spielweise der Spitzenteams angeht? Auf jeden Fall. Wir haben die WM natürlich sehr intensiv verfolgt und dabei ganz besonders genau auf unsere künftigen Gegner wie Frankreich geachtet. Aber wir haben auch die Systeme und Taktiken von Teams wie England und Belgien analysiert. Unsere Erkenntnisse haben wir dann in die niederländische Nationalmannschaft eingebracht. Das war einer der Gründe, warum wir unser System wieder umgestellt haben und zur Viererkette zurückgekehrt sind.

Am Donnerstag treffen Sie in der Qualifikation für die EURO auf Belarus und dann anschließend wieder auf Deutschland. Wie besonders ist diese Rivalität mit Deutschland und wie sehr genießen Sie es, wieder mitten drin zu sein? Das ist fantastisch. Die starke Rivalität zwischen Deutschland und den Niederlanden ist ja überall bekannt. Aber gleichzeitig gibt es durchaus auch großen gegenseitigen Respekt. Ein Sieg gegen Deutschland ist immer etwas ganz Besonderes. Die Resultate gegen Deutschland in der UEFA Nations League haben bei unseren Spielern regelrechte Wunder gewirkt. Jetzt ist es an uns, erneut solch gute Leistungen zu bringen und dafür zu sorgen, dass wir 2020 wieder bei einem großen Turnier dabei sind.

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