Donnerstag 03 Mai 2007, 14:39

Matthäus: "Ich wollte den Pokal nicht fallen lassen"

  • ​Lob für den "einzigartigen" Maradona

  • Mitleid für Chris Waddle und andere geschlagene Gegner

  • Das Schuhproblem im Endspiel 1990

Lothar Matthäus nahm schon als ganz junger Spieler erstmals an einer FIFA Fussball-WM™ teil und stellte mit 37 einen WM-Rekord auf - auf dem Höhepunkt befand er sich bei der WM 1990 in Italien. Beim Endspiel 1986 spielte er Manndecker gegen Diego Maradona, erledigte seinen Job stark, was aber am Ende trotzdem nicht reichte.

Vier Jahre später fand er sich in einer offensiveren Rolle wieder und wurde im Eröffnungsspiel gegen Jugoslawien zum ersten Spieler der Turniergeschichte, der mit beiden Füßen von außerhalb des Strafraums ein Tor erzielte. Im Endspiel gegen Argentinien gab es dann die Revanche gegen Argentinien.

Lothar Matthäus sprach mit FIFA.com über Mitleid für geschlagene Gegner, seine Bewunderung für Diego Maradona, warum er im Endspiel 1990 nicht den Elfmeter schoss und woran er bei der Pokalübergabe dachte.

Sie haben von 1982 bis 1998 fünf Weltmeisterschaften gespielt, sind zwei Mal Zweiter geworden, 1982 und 1986, haben einmal den Weltpokal gewonnen. Welche Erinnerungen haben Sie denn generell noch an das Turnier? Für jeden Fussballspieler ist es das Größte, an einer Weltmeisterschaft teilzunehmen. Ich hatte das Glück und die Freude, bei fünf Weltmeisterschaften dabei sein zu können. Jede Weltmeisterschaft war für mich auch unterschiedlich, mit großem Erfolg, mit frühem Ausscheiden. In jungen Jahren war man froh, dass man dabei ist. Auch wenn man nicht unbedingt zum Einsatz kam, war es eine tolle Erfahrung. Später hatte man dann andere Ziele. Wenn man wie wir in diesen 16 Jahren, in denen ich bei fünf Weltmeisterschaften dabei war, oft so weit kommt, dann kann ich persönlich ein erfolgreiches Resümee ziehen.

Hier in Deutschland ist es oft ein Problem, nicht ins Endspiel zu kommen. Dann war es eine verkorkste Weltmeisterschaft. Das ist aber nicht immer richtig. Denn wenn man sich andere große Fussballnationen anschaut, dann scheiden die teilweise schon in der Vorrunde aus. Wir Deutschen haben es in diesen 16 Jahren eigentlich immer mindestens bis zum Viertelfinale geschafft, bzw. sind drei Mal ins Finale gekommen. Das waren erfolgreiche Momente, die zu einer großen Fussballkarriere dazugehören.

1986 haben Sie im Finale gegen Diego Maradona gespielt. Es ist nur teilweise richtig, ich habe sehr häufig gegen Maradona gespielt. Die WM 1986 war ja nicht nur die WM von Argentinien, sondern auch die WM von Diego Armando Maradona. Er war für mich der beste Fussballspieler jener zwei Jahrzehnte, in denen ich professionell Fussball gespielt habe, nicht nur in der Nationalmannschaft, sondern auch in seinem Verein.

Ich glaube, dass Argentinien aufgrund der Leistung, die sie 1986 über das ganze Turnier hinweg gezeigt haben, und mit diesem einzigartigen Diego Maradona verdient Weltmeister geworden ist. Wir waren auch mit diesem zweiten Platz zufrieden. Wenn uns das vorher einer gesagt hätte, dann hätten wir das nicht geglaubt, denn wir wussten, dass wir einfach keine große Mannschaft hatten. Zudem hatten wir auch viele Verletzungsprobleme.

Über die ganzen Jahre verteilt, gibt es ein WM-Spiel, das Sie besonders hervorheben würden, ein Spiel von dem Sie sagen: "Das war mein bestes Spiel"? Ich habe einige gute Spiele gemacht, doch ich glaube, das Eröffnungsspiel bei der WM 1990 steht über allen. In diesem Spiel gegen Jugoslawien haben wir den Grundstock gelegt zum späteren Titelgewinn. Wir haben gegen eine starke jugoslawische Mannschaft, die später im Viertelfinale gegen Argentinien erst im Elfmeterschießen ausgeschieden ist, mit 4:1 gewonnen, und ich habe zwei Tore dazu beigesteuert. Es war mein 75. Länderspiel und, ich glaube, auch mein bestes von insgesamt 150 Länderspielen, die ich für Deutschland bestritten habe.

Welche Erinnerungen haben Sie an das Finale in Rom? Das Finale war auch wieder ein Heimspiel, nicht nur wegen Rudi Völler und Thomas Hässler, die damals in Rom gespielt haben. Vielmehr, weil die Italiener nach der Niederlage im Halbfinale gegen Argentinien auf der deutschen Seite waren. Zudem wurde Diego Maradona in Rom ja auch nicht unbedingt geliebt. Er hat bei Neapel gespielt, und es wäre wahrscheinlich ein Heimspiel für Argentinien gewesen, wenn das Endspiel in Neapel stattgefunden hätte.

Aber das Spiel hat in Rom stattgefunden, und wir waren natürlich froh, dass wir nicht gegen die Heimmannschaft spielen mussten. Wir wussten, dass die Argentinier nicht mehr die Klassemannschaft hatten wie vor vier Jahren. Sie haben sich ein bisschen durchgemogelt, mit vielen Elfmeterschießen und schlechteren Ergebnissen. Es hat sicher einen etwas zweifelhaften Elfmeter gegeben, der zum entscheidenden Tor geführt hat. Aber der liebe Gott war gerecht und hat die bessere Mannschaft gewinnen lassen.

Warum haben Sie als Kapitän damals den Elfmeter nicht geschossen? Ich hatte in der ersten Halbzeit Probleme mit meinen Schuhen. Die Schuhsohle ist auseinander gebrochen, und ich habe in der zweiten Halbzeit komplett neue Schuhe angehabt, mit denen ich vorher noch nie gespielt hatte. Ein ganz neues Modell. Ich trug eigentlich immer Schuhe, mit denen ich schon länger gespielt habe, aber ich hatte kein zweites Paar Schuhe dabei. An so etwas denkt man nicht. Dann kam der Mann von Adidas und sagte, dass es nur noch diesen einen gäbe. Ich nahm an, weil ich ja schließlich weiterspielen wollte.

Er gab mir den Schuh, aber ich habe mich damit nicht sicher gefühlt. Es gibt ja kein Gesetz, dass nur einer die Elfmeter schießen darf, und wir hatten in unserer Mannschaft ja einige hervorragende Elfmeterschützen, wie Littbarski. Auch er hätte da schießen können. Aber mein Blick ging zu Andi Brehme, mit dem ich während der Weltmeisterschaft ein Zimmer teilte. Wir haben auch privat öfter über gewisse Dinge gesprochen, und für Andi war es eine Selbstverständlichkeit, den Elfmeter zu schießen.

Es gibt eine kleine Anekdote: Carlos Bilardo, damals Argentiniens Trainer, hat uns erzählt, dass er 1986 als Argentinien Weltmeister wurde, den Pokal nicht in die Hand genommen hat. 1990 nach dem Finale wollte er zu Ihnen gehen und Sie fragen, ob Sie mit ihm und dem Pokal ein Foto machen. Er ging aber dann doch nicht zu Ihnen und wollte sie in Ruhe feiern lassen. Was hätten Sie gemacht, wenn er auf Sie zugekommen wäre? Ich hätte ihn sofort zur Feier dazu genommen, denn zum einen respektiere ich alle Menschen, und zum anderen gab es ja auch im Halbfinale eine ähnliche Szene. Nachdem wir gegen England gewonnen hatten und Waddle diesen entscheidenden Elfmeter über das Tor geschossen hatte, habe ich mich nicht gefreut mit meinen deutschen Kollegen, sondern bin zu ihm hingegangen. Ich konnte nämlich nachvollziehen, wie er sich fühlte. Ich konnte ihm zwar auch nicht helfen, aber er hat mir leid getan, und wenn Carlos Bilardo gekommen wäre, hätten wir ganz sicher auch ein Foto mit ihm gemacht, denn wir waren einfach im Freudentaumel. In diesem Moment macht man etwas für alle Menschen, die irgend etwas möchten. Ich finde es schade, dass es nicht passiert ist, aber vielleicht kann man das irgendwann nocheinmal nachholen.

Wie war es für Sie, als Sie dann irgendwann in Rom auf der Tribüne standen und als Erster diesen Pokal in die Hände bekamen? Ich war ein bisschen ehrfürchtig, ein bisschen gerührt, denn ich wusste nicht, was mit mir geschieht. Es war eine besondere Auszeichnung, nicht nur als Mannschaft die Weltmeisterschaft zu gewinnen, sondern als Kapitän, als Erster den Pokal entgegenzunehmen. Diesen Pokal will jeder gerne gewinnen. Es war ein einmaliges Gefühl. Ich wollte nichts falsch machen, den Pokal nicht fallen lassen.