Donnerstag 04 Mai 2017, 08:47

"Gazzas" Tränen in Turin

  • Englands Mittelfeldstar brach nach Gelber Karte im Halbfinale von 1990 in Tränen aus

  • Gascoigne: "Das war die beste Zeit meines Lebens. Ich wollte einfach nicht, dass sie vorüber war."

  • Der damals 23-jährige Mittelfeldspieler bestritt nie wieder ein WM-Spiel

"Wenn alles gut läuft und ich sehe, dass es trotzdem bald zu Ende geht, dann wird mir regelrecht angst und bange. Ich konnte nichts dagegen tun, an diesem Abend musste ich weinen."

Das Foto des in Tränen aufgelösten Paul Gascoigne gehört zu den unvergesslichen Bildern der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Italien 1990™. Nicht nur seine herausragenden Leistungen, sondern eben auch diese Tränen machten Gazza zum tragischen Helden dieser WM, bei der ganz England vom Gazza-Fieber erfasst war.

Das Phänomen zeigte, dass der Fussball und die Gesellschaft im Wandel steckten. In einem Artikel in der englischen Zeitung The Independent hieß es damals: "Wurde irgendwann vor Paul Gascoigne schon irgendwann einmal irgendjemand durch Tränen zum Nationalhelden und zum sicheren Millionär? Fabelhaft. Weine, und die ganze Welt weint mit dir."

Ursache für die Tränen war eine Gelbe Karte, die Gascoigne in der 98. Minute im unvergesslichen Halbfinale der WM 1990 zwischen England und Deutschland in Turin kassierte. Gascoigne war der jüngste Spieler im englischen Kader und der Topstar der Three Lions. Ihm war sofort klar, was diese Verwarnung bedeutete: Da er schon im Achtelfinale gegen Belgien nach einem Foul an Enzo Schifo eine Gelbe Karte gesehen hatte, wäre er gesperrt gewesen, falls England das Finale erreicht hätte.

"Als ich noch ein kleiner Junge war und bei meinem ersten Fussballklub spielte, träumte ich jeden Abend davon, eines Tages bei einer Weltmeisterschaft zu spielen. In Italien habe ich diesen Traum wahr gemacht", sagte Gascoigne später. "Aber als ich die Gelbe Karte kassierte, da wusste ich, dass der Traum zu Ende war."

Auch Englands Nationaltrainer Bobby Robson empfand an diesem Abend eine tiefe Verzweiflung. "Mir sank das Herz in die Hose", so der damalige Coach. "Denn mir war sofort klar, was das für Paul Gascoigne bedeutete: 'Aus der Traum.' Das war regelrecht tragisch – für ihn, mich, das Team, das Land, den Fussball. Denn er war einfach unglaublich gut und in diesem Spiel sogar herausragend. Je wichtiger das Spiel, desto besser wurde er."

Nach dem Ausscheiden der Engländer im Elfmeterschießen flossen bei Gazza erneut die Tränen. Robson versuchte zumindest, ihn zu trösten. "Sei nicht traurig", sagte er zu ihm. "Du warst einer der besten Spieler des Turniers. Du hast dein Leben noch vor dir und das war erst deine erste WM."

Tatsächlich war Gascoigne gerade erst 23 geworden und die Fussballwelt lag ihm regelrecht zu Füßen. Eigentlich hätte Robson also Recht behalten müssen. Doch Italien blieb nicht nur Gazzas erste, sondern gleichzeitig auch seine letzte WM. Das Turnier war der Höhepunkt seiner überaus turbulenten Karriere.

"Ich bekam keine Gelegenheit mehr, bei einer weiteren WM zu spielen", beklagte Gascoigne selbst. "Das war die beste Zeit meines Lebens. Ich wollte einfach nicht, dass sie vorüber war. Ich hatte fest daran geglaubt, dass wir diese WM gewinnen würden. Es fällt nicht leicht, zurückzublicken, denn man denkt immer: 'Mann, das waren noch Zeiten!'