Freitag 29 Juli 2016, 15:56

Wembley 1966 und Hurst: "Mindestens einen Meter über der Linie"

  • ​Geoff Hurst besteht darauf, dass der Ball hinter der Linie war

  • Warum, so sein Argument, hätte Roger Hunt sonst jubeln sollen?

  • Zwei Deutsche sind ganz anderer Meinung

Es ist eine Diskussion, die seit über 50 Jahren tobt. Hat der Ball bei Englands drittem Tor, das die Three Lions in der Verlängerung des Finales gegen die BRD im Wembley-Stadion bei der FIFA WM 1966 in Führung brachte, die Linie überquert? War es ein regulärer Treffer?

Geoff Hurst, der Schütze des legendären Dreierpacks für den Gastgeber eben jenes berühmten dritten Tores, sieht keinerlei Anlass für diese Debatte.

"Ich werde jedem in der Fussballwelt sagen, dass der Ball mindestens einen Meter über der Linie war, Punkt", sagte Hurst im Gespräch mit FIFA.com voller Überzeugung. Dennoch räumte der ehemalige englische Stürmer ein, dass er nach seinem Schuss nicht die beste Sicht auf das hatte, was in jener 101. Spielminute geschah.

"Ich traf den Ball nach einer halben Drehung", erklärte Hurst. "Ich stürzte und hatte eine schlechte Sicht. Der Ball landete außerdem hinter [dem deutschen Torwart] Tilkowski, ich habe es also nicht gesehen. Doch du glaubst um alles auf der Welt, dass der Ball die Linie überquert hat. Und dieser Glaube ist bis heute sehr stark in mir."

"Und ich habe immer auf den Jubel meines Teamkameraden Roger Hunt verwiesen", fährt Hurst fort. "Er drehte jubelnd ab, obwohl er den Ball selbst ins Netz hätte schießen können. Er rief 'es ist ein Tor', und danach bin ich immer gegangen."

Für Tilkowski hingegen ist diese Erklärung nicht ausreichend. Er ist bis heute der Meinung, dass der Ball die Linie nicht vollständig überquert hat. "Ich bin auch heute noch zu 100 Prozent davon überzeugt, dass es kein Tor war", so die deutsche Nummer eins gegenüber FIFA.com. "Er sprang auf der Linie auf."

Bedauernswerter Weber Wenig überraschend, dass auch Tilkowskis damaliger Teamkamerad Wolfgang Weber die Situation ähnlich in Erinnerung hat. Der deutsche Innenverteidiger konnte gut beobachten, was wirklich passierte und war der Spieler, der den Ball nach dem Aufprall auf dem Rasen über das Tor ins Aus köpfte. Als Schütze des Ausgleichstreffers in der 89. Minute, mit dem er sein Team in die Verlängerung gerettet hatte, war Weber verständlicherweise frustriert, als der Schiedsrichterassistent dem Unparteiischen signalisierte, dass der Schuss von Hurst ein Treffer war.

"Ja, ich hatte eine gute Sicht", sagte Weber zu FIFA.com. "Deshalb war ich so wütend nach dem Tor. Ich zog Bobby Charltons Arme herunter, als er schon zu jubeln begann. Gemeinsam mit Siggi Heldt und Wolfgang Overath rannten wir zum Linienrichter und versuchten ihn zu überzeugen, die Entscheidung zurückzunehmen."

Aber Weber ergänzte fair: "Dennoch war England ein verdienter Weltmeister, und wir waren ein harter Gegner. So ist der Fussball."

Fünfzig Jahre später wäre die Diskussion, die ein halbes Jahrhundert lang zwischen Hunt, Hurst, Tilkowski und Weber tobte, innerhalb von Sekunden geregelt.

Nach einem Schuss von Frank Lampard, der bei der FIFA WM Südafrika 2010 zufällig erneut gegen Deutschland von der Latte ins Tor prallte und fälschlicherweise aberkannt wurde, wandte sich die FIFA an den IFAB (International Football Association Board), um die Diskussion neu zu führen. Die Testphase begann 2011, und 2012 wurde vom IFAB die Torlinientechnologie akzeptiert.

Seitdem wurde sie erfolgreich in zahlreichen FIFA-Turnieren eingeführt, einschließlich der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™, der FIFA Frauen-Weltmeisterschaft™, dem FIFA Konföderationen-Pokal und der FIFA Klub-Weltmeisterschaft. Auch auf nationaler Ebene wird sie von vielen Mitgliedsverbänden eingesetzt, so zum Beispiel in England und beim DFB in Deutschland sowie in zahlreichen Ligen wie der Premier League (England), Ligue 1 (Frankreich), Bundesliga (Deutschland), Serie A (Italien) und in ausgewählten Partien in der Eredivisie (Niederlande) sowie bei der UEFA EURO 2016.

"Ich begrüße die Torlinientechnologie", sagte Weber zum Abschluss. "Ich glaube, dass die Frage, ob es ein Tor war oder nicht, die wichtigste Frage im Fussball ist. Diese Entscheidung sollte immer eine richtige Antwort haben."