Freitag 13 April 2018, 07:49

Forlán: "Uruguay kann weit kommen"

  • Der ehemalige Kapitän der Celeste sprach im Exklusiv-Interview mit FIFA.com

  • Forlán: "Mein Rückzug aus dem Team war eine persönliche Entscheidung"

  • Weitere Themen: Uruguays Chancen bei der WM, die Rolle von Suárez und vieles mehr

Zum ersten Mal seit 1990 wird Diego Forlán die uruguayische Nationalmannschaft bei einer FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™ als Fan von der Tribüne aus anfeuern. Das wird zweifellos eine ganz besondere Erfahrung für einen Spieler werden, der seither bei allen WM-Teilnahmen der Celeste auf dem Platz stand.

Derzeit schießt der beste Spieler der WM 2010 seine Tore beim SC Kitchee in der Liga Hongkongs. Trotz eines vollen Terminplanes nahm er sich Zeit für ein Gespräch über das Turnier in Russland. Themen waren unter anderem die Chancen des Teams von Oscar Tabárez, die Bedeutung von Luis Suárez, Forláns Rolle als Fan sowie die Titelfavoriten. Forlán: "Brasilien und Deutschland haben große Chancen."

Diego, wie fühlt sich ein WM-Jahr an, in dem Sie seit vielen Jahren zum ersten Mal nicht in den Kampf um einen Platz im WM-Kader involviert sind? Das ist natürlich anders, aber diese Situation ist auch nicht von einem Tag auf den anderen eingetreten. Dann wäre es härter. Nach der WM in Brasilien wusste ich schon, dass es sehr schwierig werden würde, in Russland dabei zu sein. Also habe ich mich damit abgefunden. Wenn das Turnier beginnt und ich zuschaue, werde ich sicher Lust bekommen, selbst zu spielen. Aber ich hatte dreimal Gelegenheit, bei der WM dabei zu sein, und habe 2010 ein fantastisches Turnier gespielt. Das würde ich nicht gegen die Chance eintauschen, noch einmal auf dem Platz zu stehen. Es war eine fantastische Erfahrung.

Wenn Sie aus all diesen Turnieren ein Ereignis auswählen sollten, an das Sie sich immer erinnern werden, welches wäre das und warum? Auf mannschaftlicher Ebene würde ich den Sieg gegen Ghana in Südafrika nennen . Diese Partie hatten wir schon fast verloren und haben am Ende auf unglaubliche Weise im Elfmeterschießen gewonnen. Auf persönlicher Ebene entscheide ich mich für das Ende dieser WM, als ich als bester Spieler des Turniers mit dem Goldenen Ball ausgezeichnet wurde und unter den besten Torschützen war.

Diego Forlán blickt zurück auf die Partie gegen Ghana

Vermissen Sie die Nationalmannschaft? Nein, ehrlich gesagt nicht. Der Rückzug aus dem internationalen Fussball war eine persönliche Entscheidung, und ich war absolut überzeugt davon. Ich habe über zehn Jahre für die Nationalmannschaft gespielt – mit guten und schlechten Momenten. Es war eine fantastische Zeit. Und das Schönste ist das positive Ende. Wäre das Ganze schlecht ausgegangen, dann hätte ich jetzt vielleicht gesagt, dass ich gern zurückkehren würde. Aber es ist kein bitterer Nachgeschmack zurückgeblieben.

Wie dürfen wir uns Diego Forlán als Fan der Nationalmannschaft vorstellen? Leidenschaftlich? Entspannt? Ich schaue mir die Spiele ganz ruhig an. Ich habe vollstes Vertrauen in die Mannschaft und die aktuellen Spieler. So war es jedenfalls in der Qualifikation – bis auf eine Phase, in der das Team einige Punkte verloren hat und es danach aussah, als könne die Sache noch kompliziert werden. Ich wusste, dass es gut gehen würde. Wir haben uns ohne große Probleme qualifiziert. Das ist viel wert. Jetzt kommt die WM und ich bin gelassen, weil ich die Trainer kenne, weiß, wie sie agieren und ganz sicher bin, dass die Spieler alles für die Nationalmannschaft geben. Das bedeutet nicht, dass wir das Turnier gewinnen werden, aber ich hoffe darauf!

Unter diesen Spielern ist auch Luis Suárez. Welche Bedeutung kommt ihm im aktuellen Team zu? Luis ist genauso wie [Diego] Godín oder [Edinson] Cavani ein Spieler, der bereits seit langem in der Nationalelf spielt. Sie sind sehr wichtig. Suárez ist ein physisch sehr starker Spieler, der sich immer gut zu helfen weiß. Er erzielt viele Tore, bereitet in letzter Zeit aber auch immer mehr vor. Durch seinen Wechsel zu Barcelona konnte er sich in dieser Hinsicht verbessern. Seine Spielübersicht wird immer besser. Und er kann ganz unterschiedlich spielen, je nachdem, ob er mit der Nationalmannschaft oder mit Barcelona auf dem Platz steht.

Im Jahr 2010 hat Enzo Francescoli uns gesagt, dass Sie alle Voraussetzungen erfüllen, um für Uruguay noch wichtiger zu werden als er selbst. Können Sie acht Jahre später dasselbe von Suárez sagen? Das ist schwierig. Es hat im Laufe der Zeit schon viele hervorragende Spieler gegeben. Ich glaube, in jeder Generation gibt es welche. Und natürlich ist das auch von den sportlichen Ergebnissen abhängig. Ich sage immer, dass es auch Geschmackssache ist und von Momentaufnahmen abhängt. Wenn man sich in der Fussballgeschichte umsieht, dann gibt es hervorragende Spieler, die viel gewonnen haben, und ebenso herausragende Spieler, die nicht die Chance hatten zu gewinnen.

Es ist schon ein Privileg, als einer der Besten zu gelten, aber das Ganze hängt von der persönlichen Meinung jedes Einzelnen ab.

Was ist für Uruguay in Russland drin?​ Uruguay wird zweifellos eine Hauptrolle spielen. Zunächst einmal kommt es darauf an, die Gruppenphase zu überstehen. Das ist das Schwierigste. Manchmal verlierst du das erste Spiel – wie es uns in Brasilien passiert ist – und bist dann gezwungen zu gewinnen, um weiterzukommen. Alle Gegner sind schwierig, aber Uruguay hat eine Mannschaft, die es mit den ganz Großen aufnehmen kann.

Wenn man berücksichtigt, dass wir ein kleines Land sind, sind wir natürlich im Nachteil. Andererseits weiß ich, dass die meisten Spieler, die Uruguay kennen oder häufig gegen Uruguayer angetreten sind, uns lieber aus dem Weg gehen. Das ist ganz klar. Uruguay ist ein sehr unbequemer Gegner, gegen den keiner gerne antritt. Das ist ein tolles Gefühl.

Italien, die Niederlande und Chile sind nicht bei der WM vertreten. Gibt es ein Land, dessen Abwesenheit Sie besonders überrascht? Nein, das überrascht mich nicht. Wir haben die WM zweimal gewonnen, sind Rekordtitelträger der Copa América und waren dennoch einige Male nicht auf der Weltbühne vertreten. Im modernen Fussball kann jeder jeden schlagen. Italien ist nach dem Weltmeistertitel im Jahr 2006 zweimal nach der Gruppenphase ausgeschieden – 2010 und 2014. Das heißt, die Italiener waren zwar bei der WM dabei, sind aber nicht über die erste Runde hinausgekommen. Erfolge stellen sich nicht aufgrund der Geschichte, des Trikots oder großer Namen ein. Es geht um die Leistungen in der Gegenwart.

Wo wir gerade über die Gegenwart sprechen: Wer ist für Sie der größte Titelfavorit? Ich würde zwei Teams nennen: Brasilien und Deutschland. Die Brasilianer spielen auf einem sehr hohen Niveau. Sie haben einen hervorragenden Trainer, und Neymar ist in Topform. Wenn ich mir so anschaue, was er Woche für Woche leistet, glaube ich, dass er bald mit Cristiano Ronaldo und Messi um die Auszeichnung zum besten Spieler der Welt wetteifern wird. Tite hat hervorragende Spieler, hat die Mannschaft neu aufgebaut und in der Defensive enorm verstärkt. Außerdem ist er ein Trainer, der gern gut plant – und ein sehr scharfsinniger Stratege. Wenn alles so weitergeht, hat Brasilien große Chancen.

Sie würden also den fünfmaligen Weltmeister unterstützen, falls Brasilien und Deutschland sich im Finale gegenüberstehen? Ja natürlich, weil es eine südamerikanische Mannschaft ist, die mir zudem sehr am Herzen liegt. Mein Vater hat mehrere Jahre in São Paulo gespielt. Ich selbst hatte auch die Chance, in Brasilien zu spielen, und habe dort viele Freunde gefunden. Wegen der Nachbarschaft würde ich Brasilien vorziehen. Und es wäre nach dieser hohen Niederlage bei der WM 2014 eine schöne Revanche.