Montag 02 Mai 2016, 05:05

Chan: Gutes Klima als Schlüssel zum Erfolg

Auf der Trainerbank eines Männer-Profiteams erwartet man normalerweise weder eine Frau noch einen unbewährten Neuling. Die 27-jährige Chan Yuen Ting indes hat jüngst mit solchen Klischees aufgeräumt und das Team von Eastern zum Titelgewinn in der Premier League von Hongkong geführt.

Chan ist allerdings keineswegs die erste Frau, die ein Männerteam führt. Die vielleicht bekannteste Vertreterin dieser Spezies ist Corinne Diacre, die seit 2014 die französische Zweitligamannschaft Clermont Foot betreut. Doch nachdem Chan das Team von Eastern zum fünften Meistertitel der Vereinsgeschichte führte, hat ihr Name nun einen ganz besonderen Platz in den Annalen des Fussballs, nämlich als erste Trainerin, die ein Männerteam zum Titelgewinn in einer Topliga führte.

"Ich bin nicht ganz sicher, ob es sich wirklich um einen Weltrekord handelt. Das muss ich erst noch überprüfen", so Chan in einem Exklusivinterview mit FIFA.com. "Ich empfinde einfach nur großen Stolz. Aber ich bin keineswegs stolz auf mich selbst, sondern auf mein Team. Die Spieler haben ihr Bestes gegeben und ihre professionelle Einstellung und Moral gezeigt."

"Ich hatte eigentlich nicht damit gerechnet, so früh Cheftrainerin zu werden", so die ehemalige Assistenztrainerin des vorherigen Cheftrainers Yeung Ching-kwong, den sie im Dezember ersetzte. "Ich habe das Team in der Mitte der vergangenen Saison übernommen. Der Klub und das Team waren enorm hilfreich. Dank der uneingeschränkten Unterstützung haben wir es geschafft."

Schnelle Fortschritte Chan entschied sich für eine Karriere im Fussball, als sie während ihrer College-Zeit David Beckham spielen sah. "Er sah auf dem Feld einfach sehr elegant aus und spielte so gut", so Chan. "Ich konnte gar nicht anders und bin dem Fussball sofort verfallen."

Da eine Karriere als Profispielerin bereits unrealistisch erschien, begann Chan 2010 ihre Karriere als Trainerin, indem sie sich dem Trainerstab des FC Pegasus unter Leitung von Chan Hiu Ming anschloss. Zwei Jahre später wechselte sie dann zum FC Southern District, wo sie erneut als Assistenztrainerin arbeitete. Dann kam von Yeung das Angebot, sich dem Klub Eastern anzuschließen. Sie erwies sich überall als äußerst lernfähig.

"Sowohl Trainer Chan wie auch Trainer Yeung haben mir sehr viel über das Traineramt beigebracht", so Chan. "Und auch von den Spielern habe ich viel gelernt. Natürlich will ich immer noch dazulernen. Wenn ich eine Frage habe, wende ich mich damit an einen Kollegen oder auch an einen Spieler. Der Weg war durchaus holprig und manchmal habe ich auch über Veränderungen nachdenken müssen, aber ich habe nie aufgegeben. Es gibt für mich keinen besseren Job als im Fussball, denn das ist mein größtes Interesse."

Chan machte so große Fortschritte, dass man ihr nach dem Weggang Yeungs kurzerhand die Leitung des Teams anvertraute. Mit diesem Schritt wurde sie zur ersten Frau, die in Asien ein Team in einer Topliga im Männerbereich führte.

"Das war alles andere als leicht", erinnert sich Chan. "Diese Chance kam eigentlich viel zu früh. Ich hatte geplant, noch drei bis fünf Jahre als Assistenztrainerin zu arbeiten, doch dann wurde ich ganz unvermittelt Cheftrainerin des Spitzenklubs in Hongkong. Das war eine enorme Belastung. Der Druck war so stark, dass ich am Anfang kaum essen und schlafen konnte. Ich hatte Angst, mein Umfeld zu enttäuschen.

"Die größte Schwierigkeit für mich als Trainerin bestand darin, dass ich als Frau die Gedanken der Spieler nicht kannte", fügte sie hinzu. "Ich konzentrierte mich daher darauf, genau zu beobachten und sehr intensiv zu kommunizieren. Ich war jederzeit offen für meine Assistenten und die Spieler. Ich glaubte an sie und habe versucht, ein gesundes und gutes Klima innerhalb des Teams zu schaffen. Um das Vertrauen der Spieler zu gewinnen, habe ich nichts anderes getan, als hart zu arbeiten. Vertrauen würde automatisch entstehen, wenn ich meinen Job gut machte, davon war ich überzeugt. Die Spieler erkannten, dass es gut für das Team war, was ich tat."

Tatsächlich zeichnete sich Chans großer Einsatz von Beginn an aus. Das erste Spiel unter ihrer Leitung – das Halbfinale des Hong Kong Senior Challenge Shield gegen den Erzrivalen South China – gewann das Team im Elfmeterschießen. Chans Schützlinge mussten zwei Mal einen Rückstand aufholen, so dass es am Ende der regulären Spielzeit und auch der Verlängerung 2:2-Unentschieden stand. Im Elfmeterschießen hatte Eastern schließlich das bessere Ende für sich.

"Wir haben eine großartige Partie gespielt und bewiesen, dass wir eine starke Einheit sind", erinnert sie sich gern an ihr erstes Spiel. "Nach dem Spiel waren die Medien und die Fans voll des Lobes. Der Sieg hat mir viel Selbstvertrauen geschenkt, so dass ich meinen Job weiter machen konnte."

Auch nach diesem Erfolg lief es für Chan und ihr Team weiterhin gut. Einen Monat später setzte sich Eastern auch im Finale gegen Kwoon Chung Southern mit 2:0 durch und bescherte Chan den ersten Titel als Trainerin. Noch beeindruckender waren indes die Leistungen im weiteren Verlauf der Meisterschaftssaison: Am Ende holte Eastern den Titel bereits am vorletzten Spieltag mit einem 2:1-Sieg gegen South China.

Chan, eine bekennende Anhängerin von José Mourinho, blickt nach diesem doppelten Erfolg bereits in die Zukunft: "In der nächsten Saison der AFC Champions League sind wir als Vertreter Hongkongs dabei und können uns mit einigen asiatischen Spitzenklubs messen. Ich hoffe, dass wir auch auf dieser Bühne unsere gute Form halten können."